Türkei: Unruhen nach Kurden-Partei-Verbot

(c) EPA (Sedat Suna)
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Das türkische Verfassungsgericht hat am Freitag die größte Kurden-Partei wegen ihrer Nähe zur PKK verboten. Die Kurden haben schon eine Reservepartei gegründet, ihnen fehlen aber die Zugpferde.

ISTANBUL. Nach dem Verbot der prokurdischen Partei für eine Demokratische Gesellschaft (DTP) durch das türkische Verfassungsgericht am Freitag kam es in zahlreichen kurdischen Städten im Osten des Landes zu Protesten und Zusammenstößen. In Hakkâri, einer kleinen Provinzhauptstadt in der schroffen Hochgebirgslandschaft an der Grenze zum Iran, versuchten Demonstranten zwei Polizisten zu lynchen, die nur mit Mühe von Funktionären der DTP gerettet werden konnten.

Das Verbot der DTP, obwohl nicht unerwartet, hat viele geschockt und die regierende AK-Partei in Erklärungsnöte gebracht. Einerseits ist die AK-Partei gegen Parteienverbote, zum Beispiel gegen sich selbst, falls das wieder einmal anstehen sollte, andererseits will man nicht sagen, dass das Verbot der DTP nicht rechtens war. Dabei gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, ob der Ministerpräsident Tayyip Erdo?an und seine gemäßigt islamische AK-Partei zu den Gewinnern oder den Verlierern des Verbots gehören.

Eine Fraktion von Beobachtern meint, Erdo?an hätte den meisten Schaden, denn das Verfassungsgericht habe sein Projekt einer „demokratischen Öffnung“ zur Lösung der Kurden-Frage torpediert. Diese Fraktion ist vor allem unter ausländischen Beobachtern stark vertreten.

Die andere Fraktion von Beobachtern erinnert daran, dass die AK-Partei und die DTP um die kurdischen Stimmen konkurrieren, zuletzt mit wachsendem Erfolg aufseiten der DTP. Außerdem verweisen sie darauf, dass nicht nur die Erdo?an kritisch gegenüberstehende Mehrheit des Verfassungsgerichts, sondern auch der der AK-Partei eher wohlwollend gesinnte Vorsitzende Ha?im K?l?ç für das Verbot gestimmt habe.

Fehler in Urteilsbegründung

Indessen ist bekannt geworden, dass dem Verfassungsgericht ein peinlicher Fehler unterlaufen ist. In der Begründung des Verbots wird auch die kurdische Politikerin Leyla Zana genannt. Sie gehört zu den 35 Personen, die mit einem Politikverbot belegt wurden. Nun ist Leyla Zana zwar zweifellos eine bekannte Kurdin und aus ihrer Nähe zu Abdullah Öcalan macht sie kaum einen Hehl, aber sie ist nicht Mitglied der DTP, sondern vor längerer Zeit ausgetreten. Auch vorher hatte sie in der Partei keine wichtige Funktion, und sie nimmt auch nicht an Veranstaltungen der DTP teil.

Das Verbot ist nicht notwendig das Ende kurdischen Politik in der Türkei. Die 19verbliebenen Parlamentarier der DTP haben bisher noch nicht ihren Rücktritt erklärt. An Parteienverbote gewöhnt, schließlich wird in der Türkei im Schnitt alle zwei Jahre eine Partei verboten, hat man schon eine Reservepartei gegründet, und die Abgeordneten der DTP könnten ihr beitreten. Ein unabhängiger Abgeordneter aus Istanbul hat bereits erklärt, dass er bereit wäre, mit ihnen eine Fraktion zu bilden.

Was die Kurden verloren haben, ist also nicht so sehr die Partei als vielmehr ihre erfahrenen Politiker, die nun mit einem Politikverbot belegt sind. Dazu gehört sowohl Aysel Tu?luk, die als Anwältin den PKK-Führer Abdullah Öcalan vertreten hat und als Falkin gilt, ebenso wie Ahmet Türk, der als Taube und erfahrenster kurdischer Politiker gilt.

Türk hält auch ein paar andere „Rekorde“ in der türkischen Politik. Er war nach Leyla Zana der zweite Politiker, der im Parlamentsgebäude in Ankara ein paar Worte auf Kurdisch gesagt hat, und er ist bisher der einzige namhafte Politiker der Türkei, der sich für den Völkermord an den Armeniern entschuldigt hat.

Öcalan bleibt unbeeindruckt

PKK-Chef Abdullah Öcalan soll nach nicht überprüfbaren Berichten in der türkischen Presse vom Verbot der DTP nicht besonders beeindruckt gewesen sein. Dabei war die DTP in den letzten Tagen vor allem im Streit um Öcalans Haftbedingungen in eine zunehmende Konfrontation mit der Staatsmacht geraten. In Öcalans Zelle wird ein Fenster angebracht, und er konnte am Freitag nach zehn Jahren Isolation erstmals mit anderen Häftlingen zusammenkommen.

AUF EINEN BLICK

Das Verfassungsgericht
der Türkei hat am Freitag die größte Kurden-Partei DTP aufgrund der Unterstützung von Terrorismus und politischer Gewalt verboten. 37DTP-Politiker wurden mit einem fünfjährigen Betätigungsverbot belegt, darunter auch Parteichef Ahmet Türk.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2009)

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Kommentare

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