Europas zwiespältige Abkommen mit der Türkei und den Machthabern in Libyen und Niger wirken. Binnen Jahresfrist kommen rund zwei Drittel weniger Migranten nach Italien und 97 Prozent weniger nach Griechenland.
Brüssel. Spürbar erleichtert trat Dimitris Avramopoulos, der für Migrationsfragen zuständige EU-Kommissar, am Mittwoch vor die Medien, um den neuen Bericht über den Stand der Dinge in Europas Zuwanderungs- und Asylpolitik vorzustellen. „Wir haben in den vergangenen zwei Jahren mehr erreicht, als in 20 möglich war“, sagte er und verwies auf den starken Rückgang des Zustroms von Migranten und Flüchtlingen, die über das Mittelmeer beziehungsweise aus der Türkei nach Italien und Griechenland gelangen. Im Juli und August des heurigen Jahres seien um 66 Prozent weniger Bootsmigranten in Italien gelandet als vor einem Jahr. Aus der Türkei kommend betreten derzeit im Durchschnitt 75 Flüchtlinge pro Tag griechischen Boden. Seit man begonnen habe, die Einigung mit der türkischen Regierung vom März 2016 umzusetzen, im Rahmen derer sich die Türkei im Gegenzug für Milliardenhilfe der EU zur Rücknahme von Flüchtlingen verpflichtet hat, seien um 97 Prozent weniger Menschen auf den ägäischen Inseln gelandet.
Avramopoulos lobte die Zusammenarbeit mit den Machthabern in Libyen und dessen südlichem Nachbarstaat Niger. Die Frage nach Berichten, wonach Italiens Regierung libysche Milizen und Menschenhändler dafür bezahlt, Migranten vom Besteigen der Boote abzuhalten, wischte er beiseite: „Wir lesen die Nachrichten, aber wir haben keine eigenen Informationen darüber. Diese Frage ist von der italienischen Regierung zu beantworten. Italiens Rolle in der Ermöglichung der Zusammenarbeit mit Libyens Regierung ist sehr entscheidend. Wir haben greifbare Ergebnisse davon gesehen.“
Die Außenminister der Union haben erst im Juli beschlossen, rund 47 Millionen Euro an die libysche Küstenwache zu zahlen. Allen voran Frankreich unterstützt den Aufbau von Sicherheitskräften in den Sahelstaaten Niger, Tschad, Burkina Faso, Mauretanien und Mali. Sie sollen auch Menschenhändlerringe im Norden Nigers zerschlagen; das dürfte zumindest kurzfristig fruchten. Die Fachleute des britischen Thinktanks Chatham House warnen in einer Analyse dieser europäischen Maßnahmen allerdings davor zu glauben, dass die Verstärkung der libysch-nigerischen Grenze allein den Migrantenstrom nach Europa wird stoppen können. „Das wird die Schmuggler auf entlegenere Routen ausweichen lassen, was nicht nur ihre Profite, sondern auch die Risiken für die Menschen erhöhen könnte, die sie transportieren.“
Rom bei Registrierung säumig
Bei der EU-internen Umsiedlung von Asylwerbern, die in Griechenland und Italien gestrandet sind, gibt es kleine Fortschritte. Seit September 2015 wurden 19.244 aus Griechenland und 8451 aus Italien umgesiedelt. Ursprünglich beschlossen die Innenminister damals, dass rund 160.000 Menschen umzusiedeln sind. Nach und nach stellte sich aber heraus, dass viel weniger als angenommen einen Anspruch auf Asyl in der EU haben. In Italien kommen derzeit vor allem Eritreer und Syrer an, von den heurigen 7600 wurden bisher nur 4000 behördlich erfasst. Die Kommission kritisiert in ihrem Bericht dieses „nicht angemessene“ Tempo.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2017)