Mit Federn, Haut und Haar: Zwangspension kann töten

Ein Staat handelt grob fahrlässig, wenn er den Weg in die Frühpension ebnet.

Selten, dass Texte so wahr und schlicht sind, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Einer davon erwischte mich in Form des am Samstag, dem 5.Dezember, im Spektrum abgedruckten Erlebnisberichts von B. Koudenhove Kalergi über das Altern (aus Föger, Hrsg.: „Verlegte Zeit. “, Czernin Verlag).

Man liest über einen pensionierten israelischen General und eine ehemalige Benediktinerpriorin, die, beide hochbetagt, in Würde und ganz selbstverständlich bis zum Schluss ihren einfachen Dienst an der Gemeinschaft tun. Ich möchte das aus Sicht eines an Demografie interessierten Biologen weiterspinnen: Das Gros von unsereins wird in die Pension geschickt, oft zwangsweise, und findet dort entweder neue, erfüllende Tätigkeit (Tendenz steigend), oder aber rastet, rostet, wird dement und stirbt schließlich vor seiner Zeit. Denn was man nicht bei Frau Coudenhove-Kalergi liest: Altersbezogene Diskriminierung – nichts anderes ist ja die Zwangspensionierung mit 65 – verletzt nicht nur ein Menschenrecht, sie kann Lebenszeit kosten.

So zeigt eine Reihe von Untersuchungen: Wer länger arbeitet, lebt auch länger. Nicht umgekehrt, wie man meinen könnte. Die Kausalität ist ganz klar: Sinnvolle Arbeit hält gesund und verlängert das Leben. Dies bedeutet, dass der Staat mit seiner laschen Pensionierungspolitik nicht nur den jetzt Jungen einen Bärendienst erweist, denn die müssen letztlich die Kosten zeitverzögert schultern. Diese Politik vernichtet schlicht und einfach Lebenszeit. Die Faktenlage ist eindeutig, Zwangspensionierung ab einem gewissen Alter kommt damit fahrlässiger Tötung gleich. Die Mechanismen des Verfalls durch Untätigkeit sehen wir täglich in unserer Umgebung: Nach der Pensionierung mag der Alltagsrhythmus einfacher werden, weniger strukturiert, die Anforderungen sinken, Geist und Körper werden weniger gefordert und träger und statt Sport dienen allzu oft das „Hülserl“, das „Zigaretterl“ und stundenlanges Fernsehen der „Entspannung“.


Pensionierung bedeutet oft Verlust einer erfüllenden Tätigkeit und des Großteils der sozialen Kontakte, letztlich der Selbstachtung. Bei jenen, die sich stark über ihre Arbeit definiert haben, provoziert der brutale Phasenwechsel in die subjektiv erlebte Nutzlosigkeit einen Pensionsschock, der nahtlos in Depression übergehen kann. Ein Teufelskreis aus verringerter Aktivität, geistigem Rückzug, Verlust von Sozialkontakten und körperlichem Verfall kann rasch ins Grab führen.

Gottlob gibt es viele Mitbürger, die trotz früher Pensionierung uralt werden. Aber nicht einfach so. Alle, die alt werden, gehen einer erfüllenden, sinngebenden Beschäftigung nach, betreuen Enkerln, engagieren sich für eine gute Sache oder ruhen im Glauben; der berühmte Hund, der bei Pensionsantritt angeschafft wird, kann wahre Wunder wirken. Hobbys tun es dagegen nicht. Ein Staat handelt grob fahrlässig, wenn er den Weg in die Frühpension ebnet und den Rest in die Alterszwangspension schickt, anstatt älteren Personen eine menschenwürdige und erfüllende Tätigkeit zu ermöglichen. Untätigkeit tötet. Und Bürger dazu zu zwingen, verletzt die Menschenrechte in grober Weise.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2009)

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