TV-Kritik

"Tatort" Stuttgart: Playlist für Menschen am Abgrund

Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare)
Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare)(c) SWR/Andreas Schäfauer
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In "Tatort: Stau" müssen die Ermittler Lannert und Bootz einen Fall klären, bevor sich die Kolonne auflöst und der Täter entwischt. Ein Fall voller individueller Dramen: atmosphärisch dicht und mit einer exzellenten Musikauswahl.

Unsere Wertung für diesen "Tatort":

8,5 von 10 Punkten

Worum geht's in "Stau"?

Ein Mädchen liegt tot auf einer Straße mitten im Wohngebiet. Offenbar ist sie von einem Auto niedergestoßen und gegen einen Poller geschleudert worden. Oder war die Schülerin schon tot und wurde aus einem Auto geworfen? Leider ist der einzige Zeuge drei Jahre alt - das "Phantombild", das er vom Unfallwagen zeichnet ist zwar ein Schmuckstück für die Kindergarten-Pinwand, aber leider nicht zu gebrauchen. Eine Hoffnung bleibt den Ermittlern allerdings: Wenn das Auto wirklich in die Richtung gefahren ist, die der kleine Zeuge angibt, dann steht der Täter vermutlich im Stau - und der wird sich nicht so rasch auflösen.

Worum geht's wirklich?

Wie jemand wirklich ist, zeigt sich wohl am besten beim Autofahren. Wie lang ist der Geduldsfaden? Wie hoch das Aggressionspotenzial? Mag man den Menschen, mit dem man im Auto sitzt wirklich? Und: Ist man mehr der Hardrock-Typ oder hört man doch lieber Julio Iglesias? In "Stau" stecken die verschiedensten Persönlichkeiten fest: Gedemütigte Angestellte, keifende Ehepaare, eine Mutter mit ihrer tyrannischen Teenie-Tochter und ein Chauffeur, der durch einen "Freud'schen Fahrfehler" seiner auf Nadeln sitzenden Chefin eine Zwangspause verordnet. Jedes Auto birgt eine eigene psychologische Dynamik, ein individuelles Drama. Selten war der eigentliche Fall so nebensächlich wie hier.

Wer ermittelt?

In Stuttgart sind Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller) im Einsatz. Bootz beweist bei der Befragung des Kinder-Zeugen Fingerspitzengefühl. Lannert hingegen sieht sich im Stau einer schier unlösbaren Aufgabe gegenüber: Er soll den Wagen des Täters finden, bevor sich der Stau wieder auflöst. Als die Autofahrer zunehmend aufsässig werden, zeigt Lannert seine wahre Größe - er klettert zu einem der Meuterer aufs Autodach und stopft ihm das Maul mit schlechtem Gewissen. Ein gewiefter Taktiker, dieser Lannert.

Wo hakt's?

Bootz ist ständig am Telefon wegen einer anderen Sache, die den Zuschauer ratlos zurück lässt, denn auf diesen Parallel-Fall, für den nach einem verschwundenen Zeugen gesucht wird, wird nicht weiter eingegangen. Weshalb dieser Handlungsstrang unerklärt und damit sinnlos bleibt.

Was gefällt?

Dieser  "Tatort" ist nicht wie jeder andere. Statt von Haustür zu Haustür läuft Lannert bei seiner Befragung von Auto zu Auto. Der ständige Wechsel zwischen den individuellen Dramen, die trotz der kurzen Sequenzen sehr anschaulich werden, schafft eine atmosphärische Dichte, die einen die eigentliche Fragestellung ("Was ist genau geschehen und wer war's"?) fast vergessen lassen.

Was gefällt noch?

Die Playlist, die so viel über die Autoinsassen erzählt. Wenn der geknechtete Angestellte sich nach einer Kopfwäsche vom Chef ins Auto setzt, um sich dann brav zu fügen und für ihn auf einem eineinhalbstündigen Umweg widerwillig ein Pakte zuzustellen, dann dreht der Mann das Autoradio auf Vollgas und James Hetfield von Metallica brüllt "Free fucking speech for the dumb". In diesem "Tatort" stehen die Menschen nicht nur im Stau, jeder steht an einem Abgrund.

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