9/11: Wie viele Muslime unterstützen den Terror?

Muslime generell mit Terror in Verbindung zu bringen, ist ungerecht. Aber die Ideen Bin Ladens leben bei vielen weiter.

Vor 16 Jahren, an einem strahlend schönen Septembermorgen in New York, erreichte der islamistische Terror gegen den Westen eine neue Stufe. Die vier Attacken, die um 8:46 Uhr Ortszeit begannen, kosteten 2996 Menschen das Leben.

„Die Muslime“ schlechthin mit dem Terror in Beziehung zu bringen, ist ungerecht und man möge sich allein das Beispiel jenes jordanischen Piloten Muath Safi Yousef Al-Kasasbeh vor Augen halten, der im Jänner 2015 vom IS bei lebendigem Leib verbrannt wurde, nachdem seine F-16 bei einem Einsatz über IS-Territorium abstürzte. Er war gläubiger Muslim und jordanischer Patriot. „Die Muslime“ sind heute auch jene 9% der arabischen Bevölkerung, die nach Daten des ACRPS-Instituts (Qatar) für die diplomatische Anerkennung Israels eintreten, dem Klima der antiisraelischen Hysterie zum Trotz.

Donald Rumsfeld, der damalige Verteidigungsminister der USA, antwortete auf eine Journalistenfrage, ob man wisse, was die muslimische Welt über die Terroranschläge vom 11. 9. denke, mit dem Satz, er wisse es nicht, und man könne darüber keine Gallup-Meinungsumfrage machen. Seither wird überall darüber diskutiert, ob der Terror solcher Gruppen wie al- Qaida oder IS von der Mehrheit der Muslime abgelehnt wird, oder ob nicht doch eine große Unterstützung für den Terror besteht, oder gar – wie unlängst die Terrorgruppe IS in ihrem „Dabiq“-Magazin (Nummer 15) selbst verkündete: „Der Islam“ sei gar keine Religion des Friedens und „wir Muslime“ hassen „euch Ungläubige“ ewig.

Ist der gewalttätige globale islamistische Terror, dem allein 2016 21.237 Menschen in 59 Ländern zum Opfer fielen, doch zutiefst in der Doktrin der Religion verwurzelt, oder ist er tatsächlich nur die Sache einer kleinen radikalisierten Minderheit?

Die hier kurz behandelte empirische Evidenz, die auf weltweiten und vertrauenswürdigen Umfragen von PEW, Arab Barometer, World Values Survey und Arab Center for Research and Policy Studies basiert, versucht ein wenig Licht in die Sache zu bringen.

Erst 2008 versuchte das Gallup-Institut auf die Worte von Rumsfeld zu reagieren. Gallups Untersuchung „Who speaks for Islam“ basierte auf repräsentativen Stichproben für 90% der globalen muslimischen Weltbevölkerung. Mit Vehemenz behaupteten Esposito und Mogahed, die Autoren der Studie, dass nur 7% der weltweiten Muslime den Terror befürworten. Esposito und Mogahed passten mit ihren Thesen damals gut in das politische Washington der Obama-Jahre: explizit alle Muslime bis hin zur Moslembruderschaft und Erdogans AKP mit an Bord für Amerika zu holen und nur die an Terror gegen Amerika selbst aktiv engagierten Gruppen zu bekämpfen.

Esposito und Mogahed mussten in der Debatte um ihre Studie dann mit der sehr beunruhigenden Tatsache herausrücken, dass die von ihnen genannten 7% Terror-Unterstützer nur aus jener Zahl herrühren, die in der Umfrage explizit zustimmten, die Terrorattacken des 11. September seien „komplett gerechtfertigt“ gewesen. Sie gaben auch zu, dass weitere 6,5% der globalen Muslime die Anschläge rechtfertigten, und satte 23,1% meinten, sie seien zumindest „etwas gerechtfertigt“ gewesen.

Offene Unterstützung

Die Ideen von Osama Bin Laden, des „Mastermind“ der Anschläge von 9/11, leben offensichtlich in der muslimischen Welt leider weiter fort. 16% der Bevölkerung in der muslimischen Welt unterstützen laut den von uns verarbeiteten PEW-Daten weiterhin offen al- Qaida, 17% die Taliban und 21% die Hisbollah bzw. 22% Hamas. 27% der Muslime weltweit schließen Selbstmordattentate nicht aus.

Woher kommt all der Radikalismus? Bis hin zu den 8% der Muslime weltweit, die heute offen den IS unterstützen?

„Frauen müssen gehorchen“

Vier Fünftel der Araber wollen heute zwar Demokratie, aber nur 20% lehnen die Idee ab, wonach Männer bessere politische Führer seien als Frauen. Der amerikanische Soziologe Ronald Inglehart hat schon Recht mit der Behauptung, wonach der Zusammenprall der Kulturen nicht die Ebene Demokratie betrifft, sondern vor allem die Ebene Gender. 92% der Muslime weltweit wollen nicht, dass ihre Tochter einen Christen heiratet, 86% meinen, die Frau muss ihrem Mann gehorchen, 86% meinen, nur der Islam führt zum Himmel, und 70% wollen die Scharia als Gesetz des Landes. 45% sind für die Steinigung als Strafe bei Ehebruch, und 45% befürworten den Ehrenmord, wenn eine Frau, bzw. 43%, wenn ein Mann in der Familie die „Ehre“ verletzt hat. 35% befürworten die Todesstrafe bei Glaubensabfall, und 32% die Polygamie.

Der Westen kann den Krieg gegen diesen Terror nur gewinnen, wenn er seine zentralen Werte der Aufklärung, der Demokratie, der Toleranz und der Gender-Gerechtigkeit in der Konfrontation mit der archaischen und harten Welt des Islamismus nicht aus einer falsch verstandenen multikulturellen Toleranz aufgibt und vehement jene liberalen und weltoffenen Lesarten des Islam unterstützt, die es auch immer gegeben hat und die heute – dringender denn je – die westliche Solidarität und Ökumene benötigen.

Oder endet die moderne, schöne, rot-grün-pink gefärbte Welt vor den Hinrichtungszellen im Iran und in Saudi-Arabien?

Der Autor habilitierte sich für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck und war von 1992 bis 2016 (Pensionierung) in verschiedenen Funktionen als Beamter der österreichischen Bundesregierung tätig. Er ist Gastprofessor der Ökonomie an der Corvinus University in Budapest und Lehrbeauftragter an der Uni Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.