Gastkommentar

Wirtschaftstheorien haben ihre Relevanz verloren

Jackson Hole und Alpbach 2017 zeigten: Gängige Lehrbuchrezepte gegen Wirtschaftskrisen sind vielfach wirkungslos.

Die jährliche Tagung der Notenbank-Gouverneure in Jackson Hole war in diesem Jahr von Unsicherheiten geprägt, von der vom Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, gewünschten, aber von Janet Yellen (Federal Reserve) abgelehnten Inflationsförderung und von destabilisierenden Geldmengen in der EU. Wenn man weiß, dass im Zyklus von 100 bis 140 Monaten eine Rezession zu erwarten ist, könnte man dies abhaken, wären nicht alle OECD-Staaten mit 90 bis 160 Prozent und mehr Staatsschulden und mit rund acht bis 20 Prozent Arbeitslosigkeit konfrontiert.

Das diesjährige Europäische Forum Alpbach war insofern ernüchternd, als die meisten anwesenden Ökonomen optimistische Aussagen tätigten, die von der Realität nicht belegt sind. Ein geringer Rückgang der Arbeitslosigkeit wurde als großer Erfolg gesehen, wobei die wachsende Zahl von Minderbeschäftigten übersehen wird. Wie Griechenland ein Wirtschaftswachstum von 0,1 Prozent errechnen kann, obwohl es bisher nie brauchbare Daten hatte, blieb unbeantwortet.

Ein Phänomen ist das Festhalten an Theorien – wie an jener, wonach sich durch zwei Prozent Inflation die Arbeitslosigkeit verringern lässt. Das fand Eingang in Lehrbücher, wird von US-Ökonomen aber seit jeher widerlegt und wurde 1983 auch schon von Erich Streissler (Uni Wien) bestritten.

Verdeckte Unterstützung?

Daher verwunderte, dass Draghi diese Theorie anführt, um Monat für Monat 60 Milliarden Euro gegen null Zinsen in die EU-Banken zu pumpen, oder, wie Kritiker mutmaßen, auch zur verdeckten Budgetstützung einiger EU-Staaten (Frankreich?). Ökonomen fragten in Jackson Hole nach den Auswirkungen dieser Geldvermehrung, wie etwa einer drohenden Inflation. Yellen will daher die Prime Rate unter zwei Prozent halten, um die Inflation nicht anzuheizen.

Die Kommentare des „Wall Street Journal“ zu Jackson Hole („Reality doesn't follow theory“) erinnern an 1982. Denn zur Lösung der heute vergessenen „Carter-Depression“ mit 13 Prozent Arbeitslosigkeit, 13 Prozent Inflation und einer 14-prozentigen Prime Rate gab es kein anwendbares Modell. Es war dann Paul Volcker, der mit einer alle Theorien ignorierenden Radikalmethode die Inflation herunterdrückte. Volcker bekam trotzdem nicht den Nobelpreis.

Schwere Wirtschaftskrisen gab es schon früher, so in Europa (1873–1896) oder in den USA (1880–1895). Auch aus dem Crash 1920–1922 konnte man wenig Lehren ziehen, weil schlüssiges Datenmaterial fehlte. Und wer sich heute auf den New Deal beruft, vergisst dessen Unwirksamkeit: Nach einer Unzahl von Gesetzen und Executive Orders von Franklin Roosevelt und seinen marktfeindlichen Ökonomen hatten diese Maßnahmen die Depression verschärft und verlängert; im Juni 1938 war die Arbeitslosigkeit wieder auf 19 Prozent hochgeschnellt, war damit so hoch wie 1934. Abhilfe kam dann erst im Frühjahr 1941.

Die einzige Theorie, die nach dem Versagen von klassischen, neoklassischen, sozialistischen oder Steuerungstheorien eine Antwort geben konnte, war der Monetarismus der Chicago School: Milton Friedman belegte, dass Roosevelts Team durch schwere Fehler die Rezession zur Depression gemacht hatte.

Friedmann und Edmund Phelps hatten drei Prozent Geldvermehrung pro Jahr, geringe Zinsen und laufende Modernisierung des Kapitalstocks vorgeschlagen um die Arbeitslosigkeit gering, die Produktivität wachsend zu halten. Aber Monetarismus konnte weder 1979 (Energiepreise) noch 1999 (Nasdaq- und Immobilienblase) noch 2007 eine Krise lösen, er erwies sich als unanwendbar. Alle diese Krisen schlugen dann voll auch auf Europa durch.

Ungehörte Warnungen

Die Dotcom-Krise von 2000 bis 2002 war eine Folge der Geldvermehrung von Alan Greenspan, detto die Immobilienblase (die Warnungen vor dieser Geldvermehrungspolitik blieben ungehört wie jene von 1928/29; einige Ökonomen hatten ja noch 1933 bestritten, dass man sich in einer Rezession befände).

Eine aktuellere Anmerkung: Im Wahlkampf 2008 weigerte sich Präsidentschaftskandidat John McCain, trotz schwerer Einbrüche, das Wort „Rezession“ überhaupt zu erwähnen. Und Obamas Team hatte recht, als es 2009 öffentliche Arbeitsprogramme (im Kongress gefordert) als unwirksam und undurchführbar ablehnte.

2009 versuchte man vielmehr einen Primitiv-Keynesianismus mit Billionen Dollar für Banken, Versicherungen und die Industrie als einziges Rezept, das man rasch anwenden konnte.

Auch die mathematischen Modelle, egal, wie genau, haben in der Realität nie gezeigt, wie man aus einer Krise herauskommt. Der bekannte Wirtschaftsmathematiker Tomas Sedláček (Yale University) führte an, dass Econometrics wenig gebracht hat. Geduldete und politisch motivierte allgegenwärtige Justierungen bei Staatsschulden, Arbeitslosen-, Defizit- oder Inflationsdaten hebeln Zahlen, egal, wie genau, aus.

Schwierige Politikberatung

Wer sich auf Theorien und Econometrics beruft, muss zur Kenntnis nehmen, dass die an den Universitäten verwendeten Lehrbücher zwar eine Unzahl richtiger Theorien enthalten („richtig“ nicht im Sinn von Karl Popper), diese aber irrelevant wurden.

Politiker sind oft unberechenbar: Ted Kennedy verlangte 1980 trotz der hohen Inflation eine Steuerermäßigung. Daher auch die Warnung von Markus Brunnmeier, (Princeton, „Die Presse“, 30. 8.), sich von alten Vorstellungen zu lösen. Es gab in Alpbach Warnungen betreffend die Nichtfinanzierbarkeit des Sozialstaats. Die Politik betreibt Trial and Error, ignoriert den Theoriestreit und lebt mit der Uneinigkeit der Ökonomen.

Andererseits ist die Politikberatung schwierig, Ignoranz und fehlende Kenntnis früherer Ereignisse dominieren. Die Gegensteuerungsmaßnahmen (zu spät, zu schwach, zu stark) waren seit jeher fragwürdig. Viele Ökonomen sind in die aktuelle Literatur nicht eingelesen, zitieren, weil einem Neomarxismus verfallen, Autoren wie Paul Krugman oder Joseph Stiglitz, wollen Ungleichheit und Klimatrends bekämpfen, reden aber nicht über die zerstörenden demografischen Entwicklungen.

Angst vor Unwägbarkeiten

Die EU ist ökonomisch eine Fehlkonstruktion, ihre Reparatur über eine bevormundende französisch-deutsche Achse wäre eher ihr Ende. Und Alpbach 2017 brachte erneut Aussagen betreffend Millionen ungebildeter Arbeiter: Unternehmer kaufen digitalisierte Produktionsroboter, weil diese sich rasch amortisieren. Die von Linksparteien geforderte Maschinensteuer ist ein Unfug und würde nur Chinas Position weiter stärken.

Die populistische, antiamerikanisch motivierte Ablehnung des TTIP erfreut vor allem Moskau und Peking, das nun über die Seidenstraßen-Initiative verstärkt auf Europa zugreifen will. Und dass nun Österreich auf die Ausgabenbremse steigt, entspringt vor allem der Angst vor kommenden Unwägbarkeiten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2017)

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