Hunderttausende Katalanen boten an ihrem Nationalfeiertag Madrid die Stirn – und warben lautstark für die Unabhängigkeit.
Barcelona/Wien.Glühend heiße Revolutionsstimmung herrschte am heurigen katalanischen Nationalfeiertag, der „Diada“: Als am Montag Hunderttausende Katalanen bei strahlendem Spätsommerwetter ins Zentrum von Barcelona strömten, um wie jedes Jahr lautstark die Unabhängigkeit zu fordern, boten sie diesmal nicht nur symbolisch der Zentralregierung die Stirn: Gestern wurde die „Diada del Si“ gefeiert, eine Mega-Machtdemonstration im Zeichen des Unabhängigkeitsreferendums, das die separatistische Regionalregierung am 1. Oktober trotz Verbots des Verfassungsgerichtshofs abhalten will. So wurden diesmal Sardana-Volkstänzer und Menschenturm-Gymnasten nicht nur mit katalanischen Estelada-Flaggen, sondern auch mit „Sí“-Fahnen angefeuert.
Dementsprechend medienwirksam und imposant war die heurige Inszenierung: Erst wurde in einer Schweigeminute der Opfer der Terrorattacken Mitte August gedacht. Doch dann trafen sich Tausende Menschen in grellgelben T-Shirts im Zentrum Barcelonas und formten gemeinsam ein gigantisches Plus-Zeichen: „Damit wollen wir auf die Chancen hinweisen, die unser neuer Staat, unsere Republik, bietet“, so ein Sprecher der Asamblea Nacional Catalana (ANC), Hauptorganisatorin der Demos.
Machtdemonstration gegen Madrid
Auch Regionalpräsident Carles Puigdemont nutzte die gestrigen Feierlichkeiten, um erneut seine Botschaft unters Volk zu bringen. Die hohe Beteiligung an dieser „Diada del Si“ würde das „Unabhängigkeitsreferendum“ zum Erfolg führen, sagte er. Barcelonas linke Bürgermeisterin, Ada Calau, versprach, „alles zu tun, damit das Referendum stattfinden kann“. Damit macht sie sich strafbar: Die Zentralregierung hat vergangene Woche in einem Brief katalanische Bürgermeister aufgefordert, diese „illegale Abstimmung“ zu verhindern. Einige Bürgermeister sagten Madrid bereits ihre Unterstützung zu. Doch die große Mehrheit will Widerstand leisten: Etwa zwei Drittel werden es sehr wohl erlauben, Wahlurnen in ihren Ratshäusern aufzustellen. Ein Bürgermeister zerriss gar theatralisch den Brief aus Madrid vor einer jubelnden Menge.
Der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen dem wirtschaftsstarken Katalonien und Madrid hat also eindeutig einen historischen Höhepunkt erreicht, als das separatistisch dominierte Regionalparlament vergangene Woche per Gesetz den Weg zum Referendum ebnete. Das Verfassungsgericht verbot das Votum, die Regierung drohte sämtlichen Regionalpolitikern mit Strafen, Guardia Civil durchforstet seit Tagen Druckereien, um „illegale“ Abstimmungszettel zu zerstören. Wie diese Totalkonfrontation zwischen sturen Katalanen und hartnäckiger Zentralregierung enden wird, steht in den Sternen. Noch scheint Barcelona fest entschlossen, das Vorhaben durchzuziehen – und zeigt sich noch weniger kompromissbereit als vor drei Jahren: Als damals das Verfassungsgericht die Abstimmung verbot, wurde das Referendum in letzter Minute zur „symbolischen Befragung“ degradiert. Und Spaniens Premier Mariano Rajoy, der in der katalanischen Frage stets auf Härte setzte, steckt in der Sackgasse. Beobachter sprechen von der schwersten Verfassungskrise seit Jahrzehnten – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem sich Spanien von der Wirtschaftskrise erholt.
Glaubt man den Umfragen, ist der Mehrheit der Katalanen das ungewisse Szenario eines einseitigen Bruchs mit Madrid nicht ganz geheuer: Die Mehrheit wünscht Verhandlungen mit Madrid. Sollte es aber zum Referendum kommen, ist der Ausgang ungewiss. Befürworter und Gegner einer Unabhängigkeit halten sich die Waage: In allerletzten Umfragen führt knapp das „Sí“.
GEDENKEN AN EINE NIEDERLAGE
Die „Diada“ erinnert an die Eroberung Barcelonas durch spanische und französische Truppen am 11. 9. 1714, während des Spanischen Erbfolgekriegs: Philipp V. errichtete anschließend einen zentralistischen Staat, bis dahin hatte sich Katalonien selbst verwaltet. Erstmals wurde die „Diada“ 1886 gefeiert, als Gedenkmesse an die Opfer von 1714.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2017)