Der deutsche „Albtraum“ mit der Türkei

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Free Deniz Yucel Deutschland Germany Berlin 10 09 2017 Demonstrantin mit Plakat Set Free Deniz Yu(c) imago/IPON
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Wieder ist ein deutsches Ehepaar während des Türkei-Urlaubs festgenommen worden. Der Ruf nach einer Reisewarnung für die Türkei wird lauter. Noch schreckt das Auswärtige Amt aber vor diesem Schritt zurück. In der CDU gibt es Differenzen über die Beitrittsverhandlungen.

Berlin. Sie hupten für Deutschlands bekanntesten politischen Häftling: Am 44. Geburtstag von Deniz Yücel rollte ein Autokorso durch Berlin. Unter der Parole „Free Deniz“ verlangten die Demonstranten am Sonntag die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten, der in einer Gefängniszelle im Großraum Istanbul sitzt. Just am selben Tag kam es in der türkischen Millionenmetropole offenbar zur Festnahme zweier weiterer Deutscher. Es soll sich um ein Ehepaar türkischer Abstammung handeln. Eine der beiden Personen sei noch in Polizeigewahrsam, die andere mit einer Ausreisesperre belegt.

„Der Albtraum setzt sich fort“, erklärte Außenministeriumssprecher Martin Schäfer am Montag. Inzwischen seien auch Deutsche betroffen, „die nichts anderes machen wollten als Urlaub“. Erst in der Vorwoche war ein Ehepaar im Ferienort Antalya festgenommen worden. Die Türkei unterstellte den beiden eine Nähe zur Gülen-Bewegung. Mittlerweile ist das Paar wieder auf freiem Fuß, auch wenn einer der beiden Ehepartner das Land vorerst nicht verlassen darf. Derzeit sind wohl elf Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei  in Haft.

Linkspartei und Grüne drängen auf eine offizielle Reisewarnung für die Türkei. Vor diesem Schritt schreckt das Auswärtige Amt noch zurück. Zwar gibt es verschärfte Reisehinweise. Eine explizite Reisewarnung würde die Türkei jedoch auf dieselbe Stufe stellen wie etwa Jemen oder Syrien. Deutsche in der Türkei müssten um ihren Versicherungsschutz bangen. Man werde sich nicht dazu hinreißen lassen, dieses Instrument „politisch zu missbrauchen“, hieß es gestern.

Der Druck zum Handeln wächst. 77 Prozent der Deutschen finden, die Regierung müsste der Türkei entschiedener entgegentreten. Und die Umfrage erfolgte noch vor den jüngsten Festnahmen und der skurrilen Reisewarnung, die Recep Tayyip Erdoğans Regierung am Wochenende für Deutschland ausgab. Darin prangerte Ankara unter anderem „antitürkische Ressentiments“ in Deutschland an und unterstellte, dass Landsleute bei der Einreise in die Bundesrepublik respektlos behandelt würden. In der CDU gibt es große Differenzen über einen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei, wie ihn nun auch Kanzlerin Angela Merkel erwägt.

Unionsfraktionschef Volker Kauder etwa fordert, die Beitrittsgespräche stattdessen zu „intensivieren“ und dabei die heiße Eisen wie Menschenrechte anzupacken. Auch EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) warnte davor, die Verhandlungen zu beenden: „Wir würden Erdoğan damit nur in die Hände spielen.“ Merkel selbst trägt ihre neue Linie zaghaft vor. „Wir werden im Europäischen Rat darüber diskutieren, ob wir die Beitrittsverhandlungen suspendieren oder gar abbrechen“, sagte sie am Montag in der ARD-“Wahlarena“. Alle Optionen seien auf dem Tisch, hatte sie davor erklärt.

Rüstungsexporte auf Eis

SPD-Außenminister Sigmar Gabriel scheint sich mit dem neuen Kurs ebenfalls schwerzutun. Auf dem EU-Außenminister-Treffen fand er kaum Verbündete. Nur Österreichs Außenminister Sebastian Kurz freute sich über den Schwenk. Gabriel hatte Kurz im April wegen dessen Forderung nach der Beendigung der Beitrittsverhandlungen innenpolitische Motive unterstellt. „Die deutsche Regierung“, sagte Gabriel damals, „ist strikt dagegen, dass wir die Gespräche abbrechen.“

Wegen der Spannungen mit der Türkei hat Deutschland nun fast alle Rüstungsexporte an die Türkei auf Eis gelegt, sagte Gabriel dem Handelsblatt. Die Bundesrepublik sei gegenüber einem Nato-Partner eigentlich verpflichtet zu liefern, so der Außenminister. Aktuell sei dies jedoch nicht zu verantworten.

AUF EINEN BLICK

Deutschland. In der Türkei sind nach vorläufigen Informationen der Bundesregierung zwei weitere Deutsche festgenommen worden. Ein Ehepaar türkischer Abstammung geriet demnach während seines Urlaubs in Istanbul in die Fänge der Behörden. Dafür hatte das Auswärtige Amt am Montag „konkrete Anhaltspunkte“. Einer der beiden Festgenommenen soll am Montag noch in Polizeigewahrsam gewesen sein. Die andere Person wurde demnach wieder freigelassen, aber mit einer Ausreisesperre belegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2017)

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