Menschenrechte: Warum Folter in Europa immer noch geduldet wird

(c) EPA (Nic Bothma)
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Eine Grazer Juristin berichtet über ihre Arbeit beim Europäischen Watchdog gegen Misshandlungen. Unbefriedigend seien unter anderem auch die Bedingungen in österreichischen Anhaltezentren für Ausländer.

Wien. Schlafentzug, Isolation, Elektroschocks, Psychoterror. Dies sind nur einige der Methoden, die Polizisten immer wieder verwenden, um Häftlinge „kleinzukriegen“. Oder Pfleger, um geistig Behinderte „ruhigzustellen“. Folter ist auch im 21.Jahrhundert verbreitet – mitten in Europa.

Renate Kicker kann davon ein Lied singen. Nur zu gut kennt sie die Verhältnisse in Europas Haftanstalten. Zwölf Jahre lang inspizierte die Juristin als Mitglied des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (CPT) Polizeistationen, Gefängnisse, Anhaltezentren für Migranten und psychiatrische Anstalten. Durch – auch unangekündigte – Visiten können sich CPT-Experten von der Lage in den 47 Europaratsländern ein Bild machen und zu Reformen drängen.

Noch genau vor Augen hat Kicker eine Psychiatrie in Montenegro: „Ein Inferno“, erinnert sich die Grazer Professorin: Hunderte schwerstbehinderte Menschen seien dort an einem Wochenende von nur zwei Pflegern betreut worden. „Einige Insassen waren mit Ketten an festen Objekten angehängt.“ Verantwortlich sei aber nicht das Personal. „Diese Art der physischen Misshandlung war reiner Selbstschutz“: Die Pfleger seien einfach überfordert gewesen. Die Lektion daraus: Die Regierungen müssten für eine adäquate Infrastruktur sorgen. Und Pflegern ein höheres „Sozialprestige verleihen“, etwa durch bessere Gehälter.

Zu wenige Frauengefängnisse

Ähnliches gelte für Gefängnisse. Ein großes Problem in Westeuropas sei der Mangel an ausgebildetem Personal oder der Unwille, zu investieren. „Damit gewinnt man keine Wahl“, konstatiert die Juristin. So gebe es weiterhin europaweit kaum Frauengefängnisse. Frauen werden meist in Männeranstalten untergebracht: „Sie müssen mit Männern die Dusche teilen. Freigang haben sie dann um sechs in der Früh, da schlafen die Männer noch. Viele Frauen gehen oft monatelang nicht raus.“

In Österreich gebe es ein einziges Frauengefängnis. Unbefriedigend seien aber auch die Bedingungen in österreichischen Anhaltezentren für Ausländer. Und nach wie vor würden die Strafen für Polizisten, denen Gewalt nachgewiesen werde, milde ausfallen. Dass das österreichische Strafgesetz nach wie vor keinen Anti-Folter-Paragrafen habe, werde wohl das CPT im nächsten Bericht rügen.

Es sind aber positive Erlebnisse, die Kicker Mut machen. Etwa die Gespräche mit den Angestellten eines lettischen Frauengefängnisses: „Sie haben mir die Lebensgeschichten von jeder einzelnen Gefangenen erzählt. Sie haben sich Sorgen gemacht. Und Gedanken darüber, wie man ihre Lage erleichtern kann.“ Ihr Fazit: Unter widrigsten Umständen könnten Einzelne einen wirklichen Unterschied machen. „Der Gesellschaft muss das nur viel mehr wert sein.“

ZUR PERSON

Renate Kicker. Die Grazer Juristin wurde 1997 zum österreichischen Mitglied des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (CPT) gewählt. Am 19.12. endet ihr Mandat, eine Wiederwahl war nicht mehr möglich. Kicker lehrt in Graz und ist Kodirektorin am Europäischen Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie. Engagiert ist sie auch in Trainingsprogramme für Gefängnisangestellte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2009)

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