Leitartikel

Das zynische Spiel mit der Angst vor der Euro-Erweiterung

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Wer ablehnt, dass alle EU-Staaten die Gemeinschaftswährung einführen, kennt das Europarecht nicht – oder meint, es missachten zu können.

Der Euro, die Osteuropäer, der Wahlkampf: Aus diesen Zutaten ist jene populistische Suppe gebraut, die den Bürgern in Deutschland und Österreich seit der Straßburger Grundsatzrede von Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Mittwoch serviert wird. Es sei „ein absurder Vorschlag“, dass Länder wie Bulgarien und Rumänien den Euro einführen sollten, kommentierte der bayrische Finanzminister, Markus Söder, Junckers diesbezügliche Forderung. Ein bisschen nobler, aber im Grunde auf derselben Linie wie der CSU-Mann Söder drückte sich Bundeskanzler Christian Kern aus. Er „halte dieses Konzept für undurchdacht“, die Einführung der Gemeinschaftswährung in Bulgarien, Kroatien, Rumänien, Tschechien, Polen, Ungarn und Schweden würde „die Problemlagen“ vergrößern. Welche „Problemlagen“ er meint, behielt der SPÖ-Vorsitzende für sich. Sein möglicher Nachfolger am Ballhausplatz, Außenminister Sebastian Kurz, gab sich zurückhaltender und pochte darauf, dass nur jene, welche die Maastrichter Kriterien einhalten, den Euro einführen dürften. Welche Ziele Kurz für die Wirtschafts- und Währungsunion anstrebt, ist allerdings offen und wird auch nach Lektüre seiner Presseaussendung vom Mittwoch nicht klarer. Der ÖVP-Chef fordert da „ein stärkeres Europa in den großen Fragen“.

Die Frage sei gestattet: Ist unser gemeinsames europäisches Geld keine große Frage? Und darf sich der Bürger vier Wochen vor der Nationalratswahl etwas konkretere Vorschläge erhoffen?

Wahlkämpfe sind schlechte Zeiten, um komplizierte Fragen wie die Währungspolitik nüchtern zu debattieren. Doch die Erosion der Kenntnis des Europäischen Rechts und der Verpflichtungen, die von allen Staats- und Regierungschefs eingegangen und im Vertrag von Maastricht dokumentiert wurden, ist bedenklich. Wissen die uns Regierenden nicht mehr, was seit dem Jahr 1992 gilt und wozu sich jedes neue Mitglied bei seinem Beitritt verpflichtet? Die Zugehörigkeit zur EU bringt die Einführung des Euro mit sich: Das kann man im Protokoll über den Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, das dem Maastrichter Vertrag hinzugefügt wurde, ebenso nachlesen wie in Artikel 119 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Wer Angst vor einer Wiederholung des griechischen Eurodramas hat, sollte sich die daraus erwachsene Verschärfung der Regeln in der Eurozone vor Augen halten.

Nach dem Brexit im März 2019 werden 85 Prozent der Wirtschaftsleistung in der EU in der jetzigen Eurozone erbracht werden. Einzig Dänemark wird dann nicht verpflichtet sein, den Euro einzuführen. Es ist nicht nur schlüssig, dass die übrigen sieben Staaten der Währungsunion beitreten. Es ist ihre Pflicht, die Bedingungen dafür zu schaffen – im eigenen Interesse.

Denn nach dem Abschied der Briten werden jene Stimmen in Paris und all jenen Hauptstädten, die am weitesten von den früheren Warschauer-Pakt-Staaten entfernt sind, lauter werden, die ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ wünschen – eine Verselbstständigung der Eurozone mit Parlament und Haushalt. Das wäre nicht nur eine Geldverschwendung. Es würde auch die kulturell-politische Kluft zwischen dem Osten und Westen vertiefen, vor der Juncker warnt. Das Gefühl vieler Osteuropäer, als Menschen zweiter Klasse verachtet zu werden, hilft beim Verständnis für den Erfolg chauvinistischer Politiker wie Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński. Juncker weiß das, und man sollte nicht darüber lachen, wenn er betont, dass „Ungarn nicht weniger Fleisch in Fleischgerichten“ oder „Tschechen weniger Kakao in der Schokolade“ verdient haben.

In der reflexartigen Ablehnung der Einführung des Euro in diesen Ländern schwingt somit auch das unausgesprochene Ressentiment gegenüber den „Ostlern“ mit. Verantwortungsvolle Staatsmänner würden alles in Gang setzen, damit diese Länder schnell und verlässlich jene Reformen umsetzen können, die der Eurobeitritt voraussetzt: Reformen, welche die gesamte EU widerstandsfähiger auf den rauen Meeren der Finanzmärkte machen.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2017)

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