Baden im Winter

Island: Heiße Füße, kühle Köpfe

 Vor allem bei Touristen beliebt: Thermalbad Blaue Lagune.
Vor allem bei Touristen beliebt: Thermalbad Blaue Lagune.(c) Ragnar Th. Sigurdsson / Arctic I
  • Drucken

Island ist das Land der Schwimmbäder und Lagunen, denn dank Geothermie können die Isländer ihre Bäder ganzjährig betreiben – und sogar Brot backen.

Was für den Finnen die Sauna, ist für den Isländer der „heiße Topf“ – dort werden sogar politische Probleme gelöst. „Wir stecken unsere Kanzlerkandidaten in einen Hot Pot, denn es macht keinen Spaß, sich bei 42 Grad Celsius zu streiten“, sagt Arthúr Bollason, Journalist und Buchautor, der fließend Deutsch spricht und mehrere Bücher über Island veröffentlich hat.

Regelmäßig führt der 66-jährige Deutschsprachige Reisegruppen durch seine Heimat und bringt ihnen auf kurzweilige Art die isländische Mentalität näher. So soll die frühere Staatspräsidentin Vigdís Finnbogadóttir, die 1980 das erste demokratisch gewählte weibliche Staatsoberhaupt der Welt wurde, einst an einem Sonntagvormittag in einem Freibad allein im Hot Pot gesessen sein, als sich ein amerikanischer Tourist zu ihr gesellte. Der Herr erhoffte sich wohl mehr und sprach Finnbogadóttir an. Irgendwann wollte er wissen, was sie beruflich mache. Sie sei Präsidentin. „Präsidentin? Wovon? Von einem Verein oder irgendeiner Organisation?“ Nein, nein, antworte die Politikerin, sie sei Präsidentin von Island und damit Staatsoberhaupt des Landes. Dem Vernehmen nach soll der Tourist kreidebleich geworden sein. Offenbar erwartete er, per Sicherheitseskorte wegen unlauteren Anbaggerns ausgewiesen zu werden, was aber nicht geschah.

Verlässlichster Geysir Islands ist der Strokkur.
Verlässlichster Geysir Islands ist der Strokkur.(c) © Ragnar Th Sigurdsson/www.Arctic-Images.com

Einkaufen mit Björk

Die Anekdote demonstriert zwei typisch isländische Eigenschaften: 1. Isländer sind unprätentiös, prominente Isländer sind es auch. Letztere bewegen sich in Island ohne Leibwächter. „Es gibt hier kaum Klassenunterschiede. Wir lassen die Leute einfach in Ruhe“, meint Örn Orrason, Ingenieur aus Reykjavík. Der 54-Jährige arbeitet bei Farice, einem Anbieter von Datenverkehr per Unterseekabel zwischen Europa und Island. Er hat zweieinhalb Jahre in Karlsruhe studiert und ist häufig im deutschsprachigen Ausland unterwegs. Den egalitären Umgang der Isländer mit Celebrities führt er auf Islands niedrige Bevölkerungszahl zurück: „Entweder bist du sowieso mit dem anderen verwandt, oder du hast gemeinsame Freunde.“ So wohne die Sängerin Björk in seiner Nachbarschaft: „Wir kaufen im selben Lebensmittelladen ein und besuchen dasselbe öffentliche Schwimmbad. Selbst wenn wir im selben Hot Pot säßen, würde ich sie nie anquatschen.“

Letzteres führt bereits zu Punkt zwei: Freibäder spielen eine wichtige Rolle in der Kultur des Landes. Der typische Sonntag eines Isländers sieht so aus: Er steht auf und geht erst ins Freibad, egal, ob Sonne, Regen oder Schnee. Fast jedes Kaff, und sei es noch so klein, hat ein eigenes. Sie sind deutlich preisgünstiger als die häufig von Touristen besuchten Lagunen. Neben dem Sportbecken, meist 25 Meter lang und gefüllt mit 28 Grad Celsius warmem Wasser, verfügt ein Freibad üblicherweise über zwei Hot Pots – kleine Becken, die wahlweise zwischen 38 und 40 Grad sowie 41 bis 42 Grad Celsius warm sind.

Blausilbrige Schlammtöpfe

Orrason: „Im Winter gehe ich zwei- bis dreimal pro Woche im Freibad 600 Meter schwimmen. Die Lagunen sind für den täglichen Badebesuch zu teuer.“ Von diesem isländischen Brauch sollten sich Besucher ruhig inspirieren lassen. Wer entspannt durch Island reisen möchte, der sollte zwischen den Sehenswürdigkeiten und dem damit verbundenen Kilometerfressen immer wieder einen Badestopp einlegen, vor allem, wenn man mit Kindern reist. Manchmal ist der Badestopp sogar die Sehenswürdigkeit selbst wie im Fall des warmen Bachs bei Hveragerđi. Rund 3,5 Kilometer schlängelt sich ein Wanderweg bergauf ins Hengill-Geothermalgebiet, unterwegs passiert man einen schönen Wasserfall und blausilbrige Schlammtöpfe, bis man zu einem unscheinbaren Bächlein mit Holzstegen gelangt. Die Sensation: Das Wasser des Bachs ist warm! Ein ungewohntes Gefühl für Zentraleuropäer, die nur kalte Gebirgsbäche kennen.

Geothermie, das heiße Wasser aus der Erde, ist der Rohstoff, der Island zu Wohlstand verholfen hat. Mit dem heißen Dampf aus der Tiefe erzeugen Kraftwerke wie das Hellisheiđarvirkjun Strom. Es liegt im Südwesten des Landes am Fuß des Vulkans Hengill und kann besichtigt werden. Von dort leiten Rohre heißes Wasser nach Reykjavík, nur läppische 60 Euro muss ein isländischer Haushalt monatlich pro Wohnung für Heizung und Heißwasser bezahlen. Die Blaue Lagune, ursprünglich nur ein Abfallprodukt des Kraftwerks Svartsengi bei Grindavik, war in den 1970er-Jahren ein kleiner Tümpel, in dem einige Einheimische badeten oder ihre Hauterkrankungen bekämpften. Mittlerweile ist sie mit 900.000 Besuchern jährlich und mindestens 35 Euro Eintritt zu der Touristenattraktion Islands schlechthin und einer Goldgrube geworden. Knapp zwei Autostunden westlich der Blauen Lagune neben dem Thermalbad Fontana am Ufer des Laugarvatn buddelt ein junger Mann mit einer Schaufel in der Erde. Umringt von Schaulustigen, legt er rohen Roggenbrotteig in einen Kochtopf, verschließt diesen und buddelt ihn an einer Stelle ein, wo die Erde dank heißen Wassers aus der Erde warm ist. Nach 24 Stunden wird der Topf wieder ausgegraben. Das fertige Brot schmeckt malzig-süß.

Geysirbrot verkosten

Mit dieser Form des Niedrigtemperaturgarens per Naturofen liegen die Isländer voll im Trend, nur dass sie dies eben schon seit Jahrhunderten so machen. Besucher können für etwa 10,5 Euro beim Ein- und Ausbuddeln zuschauen und die als Geysir-Brot vermarktete Spezialität in der Cafeteria des Thermalbads probieren. Ohne Eintritt können Besucher dagegen den imposanten Geysir Strokkur 20 Autominuten westlich von Laugarvatn bewundern, der verlässlich alle fünf bis acht Minuten Wasserfontänen emporschießt. Baden geht hier nicht, das Wasser ist kochend heiß. Überhaupt sollten Reisende nicht nur die Warnschilder beachten, sondern auch sonst ihren gesunden Menschenverstand gebrauchen. Typisch für Island ist nämlich auch, dass nicht vor jedem blubbernden Schlammtopf oder jeder Steilklippe gewarnt wird.

Nur ein paar Kilometer entfernt von dem viertgrößten Geysir der Welt liegt das Örtchen Fludir. Dort, in unmittelbarer Nachbarschaft der Geheimen Lagune, können Besucher eine weitere Verwertungsmöglichkeit der Geothermie bestaunen: Familie Ármann züchtet hier auf 4200 Quadratmetern Tomaten in geothermisch beheizten Gewächshäusern. Was vor 20 Jahren noch undenkbar war, ist heute selbstverständlich: In jedem Supermarkt gibt es Tomaten und Gurken aus Island, die sogar teurer sind als die importierte Ware. Wer mag, kann im Gewächshaus Fridheimar Tomatenschnaps, Tomatensuppe oder sogar Tomateneis probieren. Und wenn man schon einmal da ist, sollten Freunde schöner Landschaften nur wenige Autominuten entfernt südlich von Fludir unbedingt das 253 Meter hohe Midfell erklimmen. Wer das unwegsame Gelände hinaufkraxelt, wird mit einem wunderschönen Ausblick auf einen Kratersee belohnt. Hier besteht keine Verbrühungsgefahr, der See ist eiskalt.

Tipp

Rundreisen: Pauschal- und Selbstfahrerreisen mit Unterkünften in Ferienhäusern bieten zahlreiche Veranstalter: u.a. Island Pro Travel (islandprotravel.de) oder die neue reisethek.at sowie Kneissl Touristik, Spezialist für Island (kneissltouristik.at).

Tipp: Zur entspannten Erkundung je

eine Woche im Süden und Norden ver- bringen. Reihenfolge spielt keine Rolle.

Unterkunft in Reykjavík:
Hlemmur Square, chic, www.hlemmursquare.com

Icelandair Reykjavík Marina, ebenfalls chic, im alten Hafen, mit netter Bar und offenem Feuer, www.icelandair- hotels.com/de/hotels/marina,

Ferienhäuser: Sehr beliebt ist im Sü- den die Region Laugarvatn, dort haben die Isländer ihre Ferienhäuser. Miettipp: Die beiden Ferienhäuser Birta y Leyni, an einem kleinen Fluss, 15 bis 30 min von Attraktionen wie dem Strokkur, den Gewächshäusern in Fludir oder dem Thingvellir-Nationalpark entfernt. Bei Island Pro Travel.

Unterkunft im Norden: Unbedingt ein Ferienhaus am Hang mit Blick auf Akureyri und den Eyjafjord buchen, wie z. B. das Haus Heidarkot. Von hier lässt sich an einem Tag die Region Mývatn samt Naturbad, den Wasserfällen Dettifoss und Godafoss und den spektakulären Solfatare Hverir

erkunden.

Tipp: So manches Ferienhaus gibt seine Kapazitäten mit sieben Personen an, das wird aber oft sehr eng.

Baden in heißen Quellen: Blaue La-gune, 20 Autominuten vom Flughafen Keflavík entfernt, www.bluelagoon.is

Thermalbad Fontana in Laugarvatn, dort kann man auch Geysirbrot probieren, www.fontana.is

Geheime Lagune in Fludir, www.secretlagoon.is.

Mývatn Nature Bath im Norden Islands, www.myvatnnaturebaths.is.

Freibäder (sundlaug) sind in jedem Ort gut ausgeschildert.

Museum: Auf dem Hin- oder Rückweg vom Norden das Landnahme-Zentrum in Borganes besuchen, man erfährt dort allerhand über Islands Besiedlung (Landnahme) und die isländischen Sagas, www.landnam.is

Essen und Trinken. Reykjavík: Sehr gute Fischgerichte in unmittelbarer Nachbarschaft des Hotels Reykavík Marina im urigen Höfnin (http://hofnin.is) Hummer, Hai, Lamm gibt es im gemütlichen Laekjarbrekka (http://laekjarbrekka.is), das Restaurant befindet sich relativ zentral in einem fast 200 Jahre alten Wohnhaus eines dänischen Bäckers.

In Südisland (Golden Circle) bei Fludir kann man ein Tomatengewächshaus bestaunen und mittags Tomatensuppe, Tomateneis oder gar Tomatenschnaps genießen, www.fridheimar.is.

In Fludir liegt auch das einzige äthiopische Restaurant Islands mit nordafrikanischen Spezialitäten. minilik.is

In Nordisland sind gute Restaurants außerhalb Akureyris eher selten. Gut ist in Akureyri ist das Rub 23 (Fisch und Fleisch, rub23.is/is/akureyri), für Kaffee, Kuchen und kleine Gerichte eignet sich die Bláa Kannan (www.visitakureyri.is/en/food-and-drinks/bars-and-cafes/blaa-kannan-cafe). Während eines Ausflugs zum Mývatn eignet sich ein Stopp für ein Gulasch oder einen Lammeintopf mit dem süßlichen Geyirbrot www.vogafjos.is

Ideale Reisezeit: September, da immer noch hell und schönes Wetter, aber nicht so überlaufen wie im Juli und August.

Buchtipp: Detailreich und nützlich ist der Reiseführer „Island“ von Jens Willhardt und Christine Sadler, im Verlag Michael Müller. Die Autoren sind versierte Mountainbiker, bieten aber auch für Normalfitte Tipps abseits des Üblichen, beispielsweise die im Text erwähnte kleine Wanderung auf das Midfell stammt aus dem Reiseführer.

Information: Visit Iceland: www.visiticeland.com Norden: www.northiceland.is/en,

Süden: www.south.is

Compliance-Hinweise: Die Reise wurde von Icelandair und Island Pro Travel unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.