Die beiden Gesichter einer Künstlerin: eine rätselhafte Intellektuelle voller Sinnlichkeit und eine zerrissene Frau auf der ständigen Suche nach der Liebe. Ihre dichterische Kraft erhebt sich unaufdringlich wie unüberhörbar, lobte man die junge Ingeborg Bachmann. Heute wird die Lyrikerin als literarisches Idol gefeiert.
Der Wagen ist für den kleinen Mann ein bestechender Anreiz. Er hat einen Heckmotor mit einem Hubraum von 638 Kubikzentimetern – seine effektive Potenz beträgt 21,5 PS.“ Die Beschreibung des 1955 präsentierten neuen Fiat 600, dessen „Höchstgeschwindigkeit bei 100 Stundenkilometern liegen soll“, stammt nicht von einem Motorjournalisten – sondern von einer schon damals hochgelobten Lyrikerin, von Ingeborg Bachmann.
Bereits zwei Jahre zuvor steigt sie als neue Hoffnung am Firmament der deutschsprachigen Literatur auf: 1953 verdankt Bachmann ihren kleinen Gedichten den begehrten Literaturpreis der Gruppe 47, einer Art Herrenklub der Dichter, bevor überhaupt ein Werk von ihr erschienen ist. Die Gedichte „des schönen Mädchens, flirrend in der Bescheidenheit eines Menschen, der noch nicht sehr lang schreibt“, ihre zaghafte, sanfte Stimme, gefallen den strengen Juroren. Wenig später erscheinen jene Gedichte in ihrem ersten schmalen, schwarz lackierten Band „Die gestundete Zeit“ – als Antipode zur realistischen Trümmerliteratur.