Seinen Nobelpreis verdankt Eric Kandel einer Schnecke. Ein Wissenschaftler, der ein Leben lang auf der Suche nach dem Gedächtnis ist. Ein bald 90-jähriger illusionistischer Optimist. Der geniale, schillernde Hirnforscher hat sich – spät, aber doch – mit der Heimat seiner Kindheit, aus der er vertrieben wurde, versöhnt.
Orgien auf dem Meeresgrund: Aplysia-Schnecken verschmelzen miteinander, um ihr ausschweifendes Liebesleben zu praktizieren. Bis zu zehn dieser Zwitterwesen bilden Paarungsketten, in denen jedes dem Partner vor ihm als Männchen und hinter ihm als Weibchen dient. Hat eine Schnecke genug vom Sex, merken es die anderen – sie stößt lilafarbene Tinte aus.
Diesen erotomanischen Meeresbewohnern verdankt der Neurowissenschaftler Eric Kandel den Medizinnobelpreis, den er für die Entschlüsselung der molekularen Mechanismen des Gedächtnisses erhalten hat. Seit mehr als fünfzig Jahren helfen ihm dabei die katzengroßen, schlauen Schnecken bei der Erforschung des „verzwicktesten Problems der gesamten Biologie“: Was ist Gedächtnis, wie funktioniert es, wo wird Erinnerung gespeichert, wie kann sie abgerufen werden – und was steckt dahinter, wenn das Sich-Erinnern nicht mehr richtig funktioniert?