Philosophicum Lech über Arbeit und Faulheit

Dem Glücklichen schlägt keine Stunde? Dieser Mann hält offensichtlich nichts von der protestantischen Idee der Arbeit als „Gottesdienst im Alltag der Welt“. Oder lässt er nur seinen Synapsen freien Lauf, um fantasievollere Methoden der Melonenwirtschaft zu finden?
Dem Glücklichen schlägt keine Stunde? Dieser Mann hält offensichtlich nichts von der protestantischen Idee der Arbeit als „Gottesdienst im Alltag der Welt“. Oder lässt er nur seinen Synapsen freien Lauf, um fantasievollere Methoden der Melonenwirtschaft zu finden?Reuters
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Ist die Faulheit ein Laster – oder beflügelt sie die Fantasie? Geht uns die Arbeit aus – oder wird alles zur Arbeit, sogar der Konsum? Am Arlberg wurde all dies debattiert – und schließlich noch ein Elefant identifiziert.

Von der „Wüste“ war die Rede gewesen, vom „Verdorren des Zwischen“, vom „Anwachsen der Weltlosigkeit“, von der „atemlosen Hast der Arbeit“, die eine „wunderliche Geistlosigkeit“ verbreitete: Sophie Loidolt, Philosophin an der Uni Kassel, hatte in ihrer virtuosen Rede über die „Verfallsformen der Vita activa“ viel Nietzsche zitiert, hatte Hanna Arendts Theorie der Tätigkeitsformen (Animal laborans, Homo faber, Zoon politikon) geschildert, dabei Arendts tiefen Pessimismus ausgekostet. Doch in der Diskussion dann versicherte sie: Nein, Untergang-des-Abendland-Stimmung wolle sie nicht verbreiten. Just in diesem Moment schrillte die Feuerwehr-Sirene, als ob sie Loidolts beruhigende Wendung zerstören wollte. Nun, sie schrillte, weil sie das in Lech jeden Samstag zu Mittag tut. Aber diesmal klang sie – zumindest in der Neuen Kirche, wo das Philosophicum Lech tagt – apokalyptischer als sonst.

"Hochzeit von Calvinismus und Kapitalismus"

Oder klang uns die Sirene ironisch? Die Ironie hatte Loidolt zuvor gelobt, hatte dann die Faulheit gepriesen, „die Zeitlichkeit des ,nur noch ein bisschen', des noch einmal Umdrehens im Bett, des Vormittagstraums“. Und dann, am Ende des Vormittags, diese Sirene, die ja – wie die Schuluhr in der gegenüberliegenden Schule - auch einen Zeitpunkt markiert, das Zeitkorsett schnürt, das so viele bei diesem Philosophicum aufzuschnüren oder gar zu zerreißen vorschlugen.
„Eine Frucht der Hochzeit von Calvinismus und Kapitalismus, die heute noch mit der Schweiz assoziiert wird, war die Einführung der Uhrenfabrikation in Genf“, sagte der zwar nicht helvetische, sondern lutherische, jedenfalls protestantische Theologe Ulrich Körtner – und extemporierte ein wenig: Just vor ein paar Tagen sei in Lech (das ja genauso allemannisch ist wie Genf) ein Uhrengeschäft ausgeraubt worden. Könne man also hier jetzt sagen: Dem Glücklichen schlägt keine Stunde?

"Sieg des Animal laborans"

Nein, so einfach ist es nicht, auch nicht mit dem von Max Weber beschworenen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und protestantischem Arbeitsethos. Immerhin: In Luthers Lehre ist die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Vita activa und Vita contemplativa wesentlich. Das bedeutet nicht den von Hanna Arendt beklagten „Sieg des Animal laborans“; das bedeutet, dass Arbeit nicht nur Job, sondern auch Beruf ist, „Gottesdienst im Alltag der Welt“, wie Körtner sagte, zwar Plackerei und Strafe, aber auch köstlich, im Sinn von Psalm 90: „Unser Leben währet 70 Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“

So wandte sich Körtner, seinen Kollegen Traugott Jähnichen zitierend, sowohl gegen eine „pseudoreligiöse Verklärung der Arbeit“ wie gegen eine „elitäre Abwertung der Arbeit“. Sozusagen aus rein weltlicher Sicht kam Martin Seel (Frankfurt am Main), u.a. auf Tugenden und Laster spezialisiert, auf eine ähnliche Balance: Nach Aristoteles seien Tugenden Laster, die ihr Schlimmstes nicht ausleben, und Laster seien Tugenden, die ihr Bestes versäumen. In diesem Sinn plädiere er für eine Aufhebung des Gegensatz zwischen Arbeit und Faulheit.

Die Hygge aus Dänemark: Vorbildlich?

Auch die Hygge, diese von Dänemark aus die wohlhabende Welt erobernde Form der häuslichen und doch geselligen Gemütlichkeit, verleugnet oder verwischt diesen Gegensatz. Christoph Bartmann von Goethe-Institut in Warschau lehrte sie mit feinem Lächeln – und erklärte ihre Ursprünge: in einer nach dem verlorenen Krieg 1864 klein gewordenen Nation, aus einer stilleren protestantischen Tradition als der, die Max Weber schilderte: aus einem Pietismus, der auch nichts dagegen hat, ein wenig von Himmel im Diesseits vorwegzunehmen, mit “Beleuchtung statt Erleuchtung”, wie Bartmann sagte.

Merkwürdig zwischen Arbeit und Faulheit steht auch das Spiel, das in seiner Anstrengung verblüffend der Arbeit gleicht, aber als Freizeit, als Müßiggang, wenn nicht gar als Laster gilt. Kant pries es ebenso wie Marx, es hilft gegen die Langeweile ebenso gut wie die Arbeit.

Bartleby: "I would prefer not to"

Was macht den Unterschied? Es ist unproduktiv. Damit Effizienzfanatikern ein Ärgernis, wohl genauso wie die “aktive Faulheit”, die Nassima Sahraoui (Frankfurt am Main) empfahl, als “Widerstehen gegen die ökonomische Zeit”. Sie dehne die Zeit (was freilich genauso gut in Langeweile wie in Kontemplation münden könnte), sie sei “eben gerade nicht ein einfaches ,I would prefer not to', wie wir es seit Melvilles ,Bartleby' kennen”.
Wie das aussehen soll (vielleicht wie ein Spiel?), das wurde bei Sahraoui nicht recht klar. Bartleby, der bis zum Hungertod radikale Verweigerer in Melvilles Roman aus dem Jahr 1853, war jedenfalls einer der literarischen Helden des Philosophicums, so wie Oblomow in Iwan Gontscharows gleichnamigem Roman (1859) und der liebenswertere Taugenichts bei Eichendorff. Manfred Koch, Literaturwissenschaftler in Basel, stellte sie in eine Reihe, dazu auch Wilhelm Meister und Gottfried Kellers “Grünen Heinrich”. Diese seien wie der Taugenichts, aber auch die Figuren in Kerouacs “On The Road”, Wanderer, die vor der bürgerlichen Welt ausreißen. Sie alle sind jung, merkte Michael Köhlmeier an: “Aussteigen ist eigentlich ein Jugendmodell.” Zum sesshaften Oblomow-Typ gehören aber auch Gregor Samsa in Kafkas “Verwandlung” (auch er kann nicht aufstehen) und Hans Castorp aus dem “Zauberberg”: Sein Mut zur Faulheit, ja: zur Krankheit macht ihn erst offen für diverse pädagogische Bemühungen.

Ein Roboter als "Mußemaschine"

Kann der Faule gar besser lernen? Zumindest kann der Müßiggang die Kreativität fördern. Die ziellos schweifenden Gedanken im Leerlauf-Modus des Gehirns können Geistesblitze hervorbringen, Fantasie entfesseln, erklärte Ulrich Schnabel, Physiker und Journalist, in seinem fantasievollen Vortrag. in dem er eine Zukunft imaginierte, in der streng rationale Computerkonstrukteure im “Projekt Aristoteles” eine “Mußemaschine” schaffen, einen Roboter, der träumen, faul sein, Unsinn produzieren, ja sogar Witze erzählen kann. Er lehrt seinen Konstrukteuren dann die Fantasie... “Wir sehen unseren Körper als Maschine und unseren Geist als Computer”, kommentierte Loidolt, “das könnte ein großer Fehler sein.” Und Liessmann holte gleich weiter aus: Als die Menschen zu töpfern begannen, stellten sie sich den Schöpfergott als Töpfer vor. Als sie die Uhr erfanden, entdeckten sie das Universum als Uhrwerk. Als sie die Dampfmaschine bauten, fanden sie ein hydraulisches Modell fürs Bewusstsein, mit Ventilen für die Triebe usw. Als sie sich Computer bauten, sahen sie das Hirn als Computer. “Und kaum haben wir das Internet geschaffen, sehen wir uns selbst als vernetzt.”

Verdacht auf neuen "Laboralismus"

Zurück zum Müßiggang. Ihn müsse man sich erst einmal leisten können, mahnte Stephan Lessenich, Soziologe in München. Er sehe bei all den Diskussionen einen Elefanten im Raum, den alle sehen würden, nur keiner sehen wolle. Erraten: Er meinte den Kapitalismus. Dieser reagiere derzeit auf seine Strukturprobleme mit einem Umbau des Sozialsystems, der die Menschen wieder “aktivieren”, auf die Arbeitsmärkte zurückholen solle. So meint Lessenich einen neuen “Laboralismus” zu sehen – und warf diesen gleich seinem Nachredner vor, dem Wiener Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal. Tatsächlich schlug Mazal vor, die Arbeit gerechter zu verteilen und auch reproduktive Arbeiten wie Haushalt, Erziehung, Pflege zu entlohnen. Einkommen ohne Gegenleistung, also das in Lech viel diskutierte bedingungslose Grundeinkommen, sei dagegen würdelos. Die darauf entflammende Debatte würzte Liessmann mit der Anmerkung, wir seien eben alle im Bauch des Elefanten. Worauf Lessenich eine noch griffigere Formel fand: “Wir sind der Elefant.”

Auch Konsum kann arbeitsam sein

Dabei müssen wir nicht nur arbeiten, sondern auch die erarbeiteten Produkte kaufen, verzehren, gebrauchen. Wie verblüffend der Konsum Charakteristika der Arbeit angenommen hat, schilderte Wolfgang Ulrich: Wer Möbel selbst zusammenbaut, beim Einkaufen die Produktionsbedingungen analysiert, wer kreativ sammelt oder gar als “Influencer” halbberuflich andere beim Konsum beeinflusst, ist produktiv. Und muss kein schlechtes Gewissen haben, weil er konsumierend genießt, statt zu arbeiten. “Dem Konsum wurde alles Frivole genommen”, sagte Ulrich nicht ganz ohne Ironie: “Er ist Arbeit, er verbessert die Welt, er ist protestantisch und links.” Und wer das Konsumierte dann noch im Internet bewertet, erfüllt zumindest teilweise, was Marx in der “deutschen Ideologie” voraussagte: Er betätigt sich abends als Kritiker. So komme es doch noch Verwirklichung kommunistischer Utopie”, diagnostizierte Liessmann, “wenn auch unter anderen Bedingungen.”

Thema 2018 in Lech: die Hölle

Zum Schluss, vor dem (reuelosen?) Genuss des Vorarlberg Brunch, gab Bürgermeister Ludwig Muxel, das Thema des nächsten Jahres bekannt. Vom 10. bis 23. September 2018 wird beim Philosophicum Lech über "Die Hölle - Kulturen des Unerträglichen" referiert und debattiert.

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