Rumänien: Der blutige Sturz des Bukarester Diktators

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Als Soldaten im Dezember 1989 in Timisoara auf Demonstranten schossen, war der Niedergang des Ceausescu-Regimes besiegelt. Doch KP-Kader aus der zweiten Reihe nutzten die Revolte zur Machtübernahme.

TIMISOARA.Aus Lautsprechern schallen Sprechchöre und Schüsse; über den Bildschirm flimmern Aufnahmen gehetzter Demonstranten, rollender Panzer und umgestürzter Wasserwerfer. An jenen denkwürdigen „Tagen der Freiheit“ sei im Dezember 1989 in Timisoara (Temeswar) „ein Stück Weltgeschichte geschrieben“ worden, sagt Traian Orban im Ausstellungssaal des „Memorialul Revolutiei“.

Ein Schuss machte den Museumsdirektor damals zum Schwerbehinderten. Dennoch blickt der 65-Jährige, der heute am Stock geht, stolz auf die Geschehnisse vor 20 Jahren zurück. Der Volksaufstand von Timisoara sei eine „echte Revolution“ gewesen. „Wir waren es, die den Diktator zu Fall brachten. Ich wurde 1989 neu geboren.“

Während in den Bruderstaaten Hunderttausende für Freiheit und gegen das Machtmonopol der kommunistischen Parteien auf die Straße zogen, sorgte der Geheimdienst Securitate in dem von Nicolae Ceausescu mit eiserner Hand regierten Karpatenstaat Ende der Achtzigerjahre für Friedhofsruhe.

Alle Gesellschaftsbereiche seien von der Securitate infiltriert gewesen, sagt Orban und erklärt so, warum der Umsturz in Rumänien relativ spät eingesetzt hat. Als Veterinär auf einer Kolchose habe er damals Sender wie Deutsche Welle oder BBC gehört und gewartet: „Wir wussten, was in Europa vor sich ging und dass es möglich war, ein Regime zu stürzen.“

Der Moment zur Revolte sollte in der Vielvölkerstadt Timisoara im Dezember 1989 kommen. Der Protest von Gläubigen gegen die Versetzung eines systemkritischen Geistlichen der ungarischen Minderheit wuchs binnen weniger Tage zum Volksaufstand an, der auch Bukarest erfasste.

Traian Orban hatte am 16.Dezember 1989 in Radio Free Europe von den Protesten in Timisoara gehört. „Ich wusste, ich muss in die Stadt. Es war ein Aufstand der Herzen. Es herrschte das Gefühl: jetzt oder nie.“

Doch schon am frühen Abend lag der Veterinär, von einer Milizkugel getroffen mit einem zerfetzten Bein auf dem Pflaster. Der Ingenieur Silviu Manea war 18-jähriger Gymnasiast, als er sich am 16.Dezember zu seiner Tante nach Timisoara aufmachte, um sich auf die Aufnahmeprüfung der Fachhochschule vorzubereiten. „Aus der Straßenbahn sah ich Menschen, die ,Freiheit, Freiheit‘ skandierten.“ Er schloss sich den Demonstranten an und wurde verhaftet. Die sich rasch über die ganze Stadt ausbreitende Erhebung vermochte auch die Armee nicht zu stoppen.

Nachdem die Belegschaften aller großen Unternehmen den Generalstreik erklärten, zogen die Truppen ab – Timisoara wurde am 20.Dezember zur ersten freien Stadt. Die Kunde vom Aufstand in Timisoara verbreitete sich bald über das ganze Land. Auch in Lugoj, Arad, Cluj (Klausenburg), Târgu Mures und Sibiu (Hermannstadt) gingen Demonstranten auf die Straße.

In völliger Fehleinschätzung der Lage rief der in der KP-Führung zunehmend isolierte Diktator Ceausescu am 21. Dezember zu einer Gegenkundgebung in Bukarest auf. Die bestellten Demonstranten kamen. Doch den Tiraden Ceausescus über die „ungarischen Hooligans“ von Timisoara schenkten sie kein Gehör. „Nieder mit Ceausescu“, schrie die aufgebrachte Masse.

Am nächsten Tag flüchtete der Diktator mit seiner Frau Elena. Er war gestürzt. Doch seine Parteirivalen, die unter Führung von Ion Iliescu eine „Front zur Nationalen Rettung“ ausriefen, nutzten den Aufstand zur Machtergreifung.

Schüsse peitschten in den nächsten Tagen bei Kämpfen mysteriöser „Terroristen“ mit der auf die Seite der Aufständischen gewechselten Armee durch Bukarests Straßen. Landesweit starben 1104 Menschen, 942 davon erst nach dem 22. Dezember. Am 25.Dezember wurden Ceausescu und seine Frau nach einem Schnellverfahren von Soldaten erschossen.

„Sie zerstörten unsere Träume“

Der „endgültige Bruch mit dem Kommunismus“ stehe in seinem Land noch aus, konstatiert zwei Jahrzehnte später Traian Orban. Frühere Securitate-Offiziere kontrollierten längst wieder den Großteil der Wirtschafts- und Medienmacht – und damit die Politik.

Zwar könnten die Rumänen „heute sagen, was sie wollen“: „Aber das Land ist nicht so geworden, wie wir uns das erträumten“, meint auch der derzeit arbeitslose Silviu ernüchtert. Rumäniens Industrie sei von den heimischen Tycoonen „ausgeplündert und ruiniert“ worden: Für ausländische Investoren sei das Land allenfalls als Konsummarkt und wegen der billigen Arbeitskraft interessant.

20 Jahre nach der Revolution verspüre er „mehr Enttäuschung als Stolz“, sagt Silviu. Für „Gerechtigkeit“ hätten die Demonstranten von Timisoara gestritten. Doch Verurteilungen für die Verantwortlichen der Schießbefehle stünden bis heute aus: „Vielleicht hatten wir uns zu viel erhofft: Die Nomenklatura des neuen Kommunismus, die der alten folgte, zerstörte unsere Träume.“

RÜCKBLICK

Rumäniens blutige Wende im Dezember 1989:

16. Dezember 1989: Beginn der Unruhen in Timisoara wegen der Zwangsumsiedlung des regimekritischen Geistlichen László Tökés.

21. Dezember: Eine Massenversammlung im Zentrum Bukarests, eigentlich zu Ehren Nicolae Ceausescus organisiert, wandelt sich zur Protestdemonstration gegen das Regime. Menschenmassen besetzen zentrale Plätze, Panzer fahren vor, erste Schüsse fallen.

22. Dezember: Umsturz in Bukarest, Flucht von Elena und Nicolae Ceausescu. Auf den Straßen Bukarests wird weiter geschossen – es heißt, Terroristen wären in die Stadt eingesickert. Insgesamt sterben in diesen Tagen landesweit 1104 Menschen. Die „Front zur Nationalen Rettung“ von Ion Iliescu übernimmt die Macht.

25. Dezember: Das Ehepaar Ceausescu wird in der Ortschaft Târgoviste (nahe Bukarest) von Soldaten hingerichtet.

26. Dezember: Ion Iliescu wird provisorischer Staatschef.

1. Jänner 1990: Iliescu verkündet die Aufhebung der Todesstrafe und die Auflösung der Securitate.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2009)

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