19. September

Kerns Miete, Österreichs Umfragen, Schüssels Aufstand

Guten Morgen! Gestern ist Sebastian Kurz mit einer Delegation nach New York aufgebrochen. Als OSZE-Vorsitzender sei ein Fernbleiben von der UNO-Vollversammlung einfach unmöglich, meinte er knapp vor dem Abflug. (Ich war nur zufällig auf dem Flughafen, auf dem Weg für einen Minitrip nach Oslo. Nach New York dürfen nur die Außenpolitiker.) Kurz fliegt übrigens weiterhin tapfer und bürgernah Economy. Ich finde das immer sonderbar bis bemüht, wenn ich das so salopp schreiben darf. Ein Außenminister sollte ausgeruht bei der UNO ankommen. Aber zugegeben: Kurz hat offenbar bessere, noch frischere Batterien. In der ÖVP herrscht leichte Nervosität ob der Wahlkampfpause. Oder anders: Offizieller Wahlkampfstart der Liste Kurz ist erst am Freitag. Und davor hofft man, auch gute Handschüttelbilder mit den Großen der Weltpolitik aus New York zu erhalten. Notfalls muss Alexander Van der Bellen herhalten. Er ist auch dort.

Für die SPÖ ist die Situation offenbar so ernst, dass Christian Kern nun radikale Schritte setzt. Noch vor der Wahl will er gesetzlich die Mieten senken, also die entsprechenden Gesetze ändern. Die SPÖ bringt am Mittwoch ihr Mietrechtspaket im Parlament ein und sucht für einen gemeinsamen Beschluss noch vor der Wahl die Unterstützung der anderen Parteien. „Die Mieten sind in den vergangenen zehn Jahren doppelt so schnell gestiegen wie die Einkommen“, so Kern. Das Mietrecht soll bundesweit einheitlich gelten und alle bisherigen Teilregeln bzw. das System der Richtwerte ersetzen. Für die meisten Neuverträge soll es einen geregelten Mietpreis geben, der sich an einem klar definierten Katalog von preismindernden und preissteigernden Eigenschaften orientiert und sich aus dem Standardquadratmeterpreis abzüglich klar definierter Abschläge und Zuschläge errechnet.

Kern legte Beispielrechnungen vor, wonach sich durch das SPÖ-Mietrechtspaket der Preis für eine 80-Quadratmeter-Wohnung in einem Wiener Mehrgeschoßbau von 1192 auf 736 Euro verringert. Dass es mit diesen Maßnahmen, die für viele Wohnungseigentümer der Anfang einer stillen Enteignung wären, zu einer radikalen Verknappung auf dem Wohnungsmarkt kommen würde, sagt Kern nicht dazu. Warum nicht fixe gesetzliche Preisregelungen für Lebensmittel, Fernreisen und Mobiltelefontarife? Die werden immer teurer!

Fast ehrlich die folgende Aussage Kerns: In dieser Wahlauseinandersetzung sei es obligat geworden, dass allen alles versprochen werde, so Kern. Er will daher seine Versprechen nun einlösen. Wahlzuckerln in der XXX-large-Packung!

Wir erinnern uns kurz an die jüngsten Nationalratssitzungen vor der vorigen Wahl, als Milliarden ausgegeben wurden, um Wähler zu gewinnen. Diesmal will Kern um fünf vor zwölf schnell ein paar Milliarden gesetzlich umverteilen.

Finanzminister Hans Jörg Schelling hat recht, wenn er solche Milliarden-(Geldausgabe-)Aktionen in der Torschlusspanik vor der Wahl unterbinden will.

Wie schwierig die Lage der SPÖ ist, zeigen einige Gerüchte und Einschätzungen, bei denen der Wunsch Vater des roten Gedankens ist. Besonders herzig ist die Putschhoffnung mancher Sozialdemokraten. Diese geht so: In der Volkspartei würden sich kurz vor der Wahl die Zu-Kurz-Gekommenen – okay, das ist ein bemühtes Wortspiel – gegen Sebastian Kurz erheben. Immerhin gäbe es viele Altmandatare, die in die Wüste geschickt wurden, um dort einen aussichtslosen Vorzugsstimmenwahlkampf zu führen und am Schluss politisch zu verdursten. Angeführt könnten sie von Wolfgang Schüssel werden.

Natürlich. Und Erhard Busek wird das Meer teilen und Reinhold Mitterlehner Christian Kern ehelichen. Und so wird die Ehe für alle Realität.

Aus der Märchenwelt kommt auch die Darstellung, Turner-Manager und Österreichs wichtigster Medienmann, Gerhard Zeiler, könnte als Kandidat Michael Häupls diesen als Wiener Bürgermeister ablösen und im Vorbeigehen auch noch den SPÖ-Bundesparteivorsitz von einem am 15. Oktober glücklosen Christian Kern übernehmen. Das ist schlicht Blödsinn.

Ein Strohhalm, an den sich die Sozialdemokraten klammern: Manche Umfragen, die Kurz weit vorn sehen, seien dezent, aber doch manipuliert. Da würden etwa im Verlauf der Umfragegespräche mehrere Fragen zu Sebastian Kurz und dann ganz zufällig die Sonntagsfrage gestellt. Kein Wunder, dass er dann weit vorn liege. Vor allem die Österreich-Umfragen aus dem Hause Fellner seien besonders unseriös, so eine Quelle in der SPÖ. Ich finde das nicht gerecht. Wolfgang Fellner macht am Newsdesk eine Umfrage und rechnet sie dann selbst hoch. Das ist doch transparent!

Aber im Ernst: Tatsächlich erstellt Research Affairs für Österreich reine Onlinestudien, die ältere Wähler aussparen. In der SPÖ glaubt man, dass hinter vielen derer Umfragen das Finanzministerium als Auftraggeber stehe. Tatsächlich klangen die Titel mancher Umfragen nach PR für die Himmelpfortgasse. Beispiele: 4. 6. 2016: „Budget: Mehrheit optimistisch“, 29. 6. und 3. 7.: „Duell um unsere Steuern: Schelling und Kern“, 6. 8 und 13. 8.: „Nur ein 3er für unser Schulsystem“, aber: „Schon 68 % managen Steuern online“, 11. 10. und 12. 10.: „Aktuelle Umfrage zur Budgetrede“, „Die Wünsche ans Budget“, 6. 11.: „Mehrheit gegen „Pensionshunderter“ und stattdessen: „Arbeitsmarkt und ÖBB: Ja zu Reformen“. Subtil nicht?

In der SPÖ hofft man weiter auf die Trendumkehr durch die TV-Duelle und darauf, dass sich positive Stimmung über den zarten Wirtschaftsaufschwung weiter breitmacht. Auf dass der Kandidat die Stimme bekomme, der das bestehende System grosso modo, aber mit Reformen weiterführen wolle.

Das böseste Zitat der gestrigen TV-Duelle auf Puls4: Matthias Strolz zu Christian Kern: „Sie haben als Railjet begonnen. Dann kamen ein paar Baustellen. Dann waren Sie nur mehr ein Bummelzug. Und jetzt sind Sie beim Schienenersatzverkehr angekommen."

Schönen Dienstag!

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