Alles digital, vom Verlieben bis zum Entlieben

(c) Petra Winkler
  • Drucken

Vom Verlieben bis zum Schlussmachen ist fast jeder Lebensbereich digitalisiert. Das ist verdammt praktisch. Aber manchmal verpasst man etwas. So schlimm, wie es die Eltern oder andere ältere Semester finden, ist es jedoch auch wieder nicht.

Auch die Liebe ist inzwischen ziemlich digital. Und zwar nicht nur das Verlieben, sondern auch das Entlieben. Oder jedenfalls der Moment, in dem einem zu verstehen gegeben wird, dass sich jemand entliebt hat. Man muss seine neue Liebschaft gar nicht auf Tinder kennenlernen, damit einem in den ersten Tagen und Wochen bei jedem Pling das Herz hüpft: Es könnte ja die ersehnte WhatsApp-Nachricht sein. Mit einem Selfie vom Aufwachen, einem schellen Foto vom vormittäglichen Kaffee oder vor jener Bar, vor der man sich dieses eine Mal geküsst hat. Wenn der Zauber bei einem der beiden vorbei ist, kommt vielleicht irgendwann kein Selfie mehr zurück, niemand denkt bei der Kaffeepause sehnsuchtsvoll an einen, auch wenn man das selbst noch tut. Die Liebschaft wird zum Geist. Selten kommt das angeblich nicht vor. Jeder zweite junge US-Amerikaner soll schon jemanden geghostet haben. Also wortlos sitzengelassen.

Einerseits mag das gewisse Schlüsse über den Charakter des kurzzeitigen Herzensmenschen zulassen. Es wirft auch gewisse grundsätzliche Fragen auf: Ist das so, weil die Liebe in Zeiten der Digitalisierung unverbindlicher ist? Weil jemand, den man per Tinder getroffen oder per WhatsApp näher kennengelernt hat, abstrakter scheint als in Zeiten, als man Freunde von Freunden kennenlernte und sie einem im eigenen oder in fremden Wohnzimmern über den Weg liefen, man einander traf, sah und spürte, statt ein Selfie zu schicken?

Es würde die These mancher bestätigen, dass die Digitalisierung die angeblich echten sozialen Beziehungen auflöst, gemeint sind die analogen, die wie früher. Eine Vorstellung, die vor allem die älteren Semester, von Mama und Papa abwärts, ganz gerne formulieren. Und die ihnen bestätigt zu werden scheint, wenn man zu Hause auf der Couch bei jedem Pling das Telefon zur Hand nimmt. Was war das nochmal, Mama? Tschuldigung, gerade nicht aufgepasst. Vielleicht ist es aber auch gar nicht so.

Eine neue Nähe. Forscher sprechen im Zusammenhang mit der Digitalisierung oft von der Entkoppelung von Raum und Zeit. Vor der elektronischen Kommunikation war Gleichzeitiges nahe und Fernes war auch zeitlich entfernt. Im übertragenen Sinn gilt das auch: Nähe muss nicht unbedingt mit physischer Nähe einhergehen. Manche sehen das pessimistisch: Die Technologie bringe uns die Menschen näher, die weit weg sind. Und entferne uns von jenen, die uns eigentlich räumlich nahe sind. Wenn man sich an die Momente erinnert, an denen man zwischen zwei Vorlesungen mit Kollegen auf der Wiese sitzt, und jeder gerade mit jemand anderem whatsappt, scheint das manchmal zuzutreffen.

Sicher wahr ist jedenfalls, dass uns die jetzt näher sein können, die weit weg sind. Nachdem unser aller Leben immer internationaler wird, mit Reisen, mit Auslandssemestern, mit Praktika in der ganzen Welt, kommt es auch vor, dass man sich mit Elsa aus Paris, mit Anna aus Finnland oder Emiliano aus Buenos Aires stärker verbunden fühlt als mit dem WG-Kollegen oder mit den Kolleginnen in der Uni-Lerngruppe. Dann sind da natürlich auch die Freunde zu Hause in Salzburg oder Steyr, in Brixen oder Bamberg, von wo man fürs Studium weggezogen ist. Die beste Freundin, die gerade in Barcelona oder Berlin oder Bari ihr Erasmus-Semester macht und der Freund, der zur Aufnahmeprüfung für eine englische Elite-Uni geflogen ist und trotz Entfernung Beistand braucht. Oder der Ex-WG-Kollege, der gerade in einem Gummiboot auf der Donau bis zum Schwarzen Meer fährt.

Mehr Zeit mit Freunden. Aber was bedeutet das für die Freundschaften vor Ort? Wird das eine durch das andere ersetzt? Ist es so, dass man mit diesen Freunden eher whatsappt, sich Voicenachrichten schickt und gegenseitig Facebookpostings liked, statt etwas zusammen zu unternehmen? Der Jugendforscher Philipp Ikrath sieht das nicht so dramatisch. "Der Face-to-Face-Anteil ist nach wie vor viel höher, als man annehmen könnte", sagt er. Wenn man frage, was junge Menschen am liebsten in der Freizeit tun, sei die Antwort immer noch: Sich mit Freunden treffen. "Das ist kein Entweder-Oder", sagt Ikrath. Es ist nicht so, dass das Virtuelle das Nicht-Virtuelle aussticht, sondern eine Kombination. "Die Leute verbringen heute viel mehr Zeit mit Freunden, weil zu den materiellen Kontakten auch noch die virtuellen dazukommen", sagt er. "Und virtuell ist genauso Real Life." Digital ist genauso real wie analog: So kann man es wohl auch sehen. Ist das normal? "Normal ist das, was Faktisch ist. Und faktisch bewegen sich die Leute eben im Netz."

Für jemanden, der ganz anders aufgewachsen ist, mag das seltsam erscheinen, vielleicht sogar falsch. Jedenfalls ist das ein Bereich, in dem die Brüche so gewaltig sind wie sonst fast nie. Kaum eine Veränderung ist so rasant vor sich gegangen wie die Digitalisierung. "Viele andere Neuerungen sind viel langsamer gekommen", sagt Ikrath. "Dass zum Beispiel das klassische Kernfamilienmodell nicht mehr die einzige lebbare Lebensform ist, das hat sich seit den 1960ern über Jahrzehnte entwickelt." Die Digitalisierung dagegen hat innerhalb von wenigen Jahren vieles völlig auf den Kopf gestellt. Wohl auch deshalb sind die Irritationen zwischen den Generationen groß.

Die ständige Erreichbarkeit. Darüber, wie viele Stunden junge Menschen täglich online sind, gibt es unterschiedliche Zahlen. Wie viel Zeit auch immer es ist: Das Gefühl, immer und überall erreichbar zu sein, oder sein zu müssen, hat fast jeder. Laut dem Marktforschungsinstitut Integral glauben über 70 Prozent, dass eine schnelle Antwort auf Nachrichten vorausgesetzt wird. Die Erreichbarkeit hat ihr Gutes. Weil man die beste Freundin anrufen kann, wenn das Date nicht gut gelaufen ist. Weil man dem Studienkollegen aushelfen kann, der in der Nacht vor der wichtigen Prüfung Hilfe braucht. Weil man den Bruder anrufen kann, wenn man seinen Schlüssel beim Müllraustragen in der Wohnung eingesperrt hat, das Handy aber - wie immer - in der Tasche ist.

Es kann aber auch belastend sein. Sogar dann, wenn es noch nicht darum geht, 24 Stunden am Tag die E-Mails fürs Büro zu lesen. Weil die neue Liebschaft auf ihr Handy schaut statt in die Augen. Weil man aus dem Gespräch mit dem Mitbewohner gerissen wird, wenn jemand anderer seinen Schlüssel eingesperrt hat. Oder es dauernd Pling macht, wenn man sich auf die Seminararbeit konzentrieren sollte. Manchmal ist es auch einfach schade, dass man in jeder Sekunde, die nicht verbucht ist, das Handy herausnimmt und Likes verteilt oder sich einen geistreichen Tweet überlegt. Es gibt kaum mehr Momente, in denen man durchs Straßenbahnfenster die Stadt an sich vorbeiziehen lässt. Oder seinen Gedanken nachhängt, wenn die Freundin zu spät zum Treffen kommt.

Apropos: Wann war das letzte Treffen, zu dem keiner zu spät kam, kurz vorher den Ort änderte oder noch mal nachfragte, welches Lokal ausgemacht war? Das zeigt auch, dass man trotz aller vermeintlicher Freiwilligkeit bisweilen auch wirklich abhängig ist von den technologischen Mitteln und der Möglichkeit der ständigen Kommunikation. Weil man eben nicht mehr ausmacht, an welcher Ecke man sich genau trifft. Das Gefühl dafür verloren hat, wie lange es von A nach B dauert, geschweige denn, wie man dort hinkommt. Jeder vierte Unter-30-Jährige wird nervös, wenn er länger keinen Zugang zu Whatsapp oder Facebook hat. Kein Wunder, dass manche schon schlechte Laune bekommen, sobald der Akku weniger als 20 Prozent hat.

Jüngere Menschen kritischer. Während es kaum möglich ist, sich wirklich auszuklinken, sind bewusste Pausen durchaus möglich. "Ich sehe, dass temporäre Auszeiten für junge Menschen irrsinnig interessant sind", sagt Ikrath. Generell sieht er, dass gerade die Jüngeren wachsam sind, was die Technologie angeht. "Es gibt Untersuchungen aus den USA, laut denen Kinder viel kritischer sind, weil sie erleben, dass ihre Eltern beim Frühstück nicht mehr aufmerksam sind", sagt er. "Vielleicht kann man davon ausgehen, dass die nachfolgenden Generationen, die schon in der digitalen Welt aufwachsen, kritischer sind als die älteren, die mit einer Art Heilsversprechen in diese neue Welt hineingezogen wurden."

("UniLive"-Ausgabe, 27.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Digital Detox liegt im Trend. Das digitale Fasten fällt vielen jungen Menschen schwer.
Digital Detox

Von der Schwierigkeit, digital zu fasten

Digital Detox nennt sich ein neuer Trend: Dabei wird das Smartphone ausgeschaltet und das Internet gemieden. Das funktioniert nicht immer. Man kann sich allerdings selbst austricksen.
Digitale Lehre

Video schauen statt Vorlesung hören

Es gibt keine Hochschule, die sich überhaupt nicht mit digitaler Lehre beschäftigt. Einzelne Professoren sind Vorreiter und schaufeln mit neuen Medien etwa Zeit für Debatten frei. Dafür müssen die Studenten zu Hause brav Video schauen.
Software für Studenten

Die günstige Alternative

Konkurrenz für Lehrende

Das digitale Paralleluniversum

Laptops, Tablets und Co. sind Arbeitsgeräte, die ablenken können. Für Lehrveranstaltungsleiter sind sie auch Konkurrenten im Hörsaal. Vom Kampf um die Aufmerksamkeit.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.