Digitale Lehre

Video schauen statt Vorlesung hören

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Es gibt keine Hochschule, die sich überhaupt nicht mit digitaler Lehre beschäftigt. Einzelne Professoren sind Vorreiter und schaufeln mit neuen Medien etwa Zeit für Debatten frei. Dafür müssen die Studenten zu Hause brav Video schauen.

Sich in der Vorlesung berieseln zu lassen, geht bei Sigrid Stagl nicht mehr ganz so gut: Wer sich für eine ihrer Vorlesungen an der Wirtschaftsuni eingeschrieben hat, muss sich den Frontalvortrag statt im Hörsaal nämlich zu Hause anschauen. In 29 Minuten erklärt Stagl in einem sogenannten Lecturecast durchlaufende Folien, die sie aus dem Off erklärt welche Rolle die Wahrheit bei globalen politischen Herausforderungen spielt. Thomas Pikettys Gedanken zum Kapital im 21. Jahrhundert erklärt wiederum der französische Wirtschaftswissenschaftler selbst in einem 21-minütigen Video, das auf einer TED-Konferenz aufgenommen wurde. "Es ist natürlich fein, wenn derjenige das vorträgt, der die Ideen hatte", sagt Stagl. "Und zwar, ohne ihn einfliegen zu lassen."

Stagl ist eine jener Professorinnen, die angefangen haben, die digitalen Möglichkeiten wirklich zu nutzen: Von den eigentlich vorgesehenen zwei Vorlesungsstunden, in denen Masterstudenten über Akteure, Verhalten und Entscheidungsprozesse lernen, gibt es bei ihr inzwischen meist nur noch eine halbe, vielleicht manchmal eine dreiviertel Stunde frontalen Input. Stattdessen wird mehr über die Inhalte diskutiert, die sie eine Woche vorher auf die Onlineplattform hochgeladen hat.

Der Anstoß dafür kam in London, wo Stagl einen Vortrag von Salman Khan hörte, einem Pionier des Onlinelernens, der den Begriff des "inverted classroom" prägte: des umgedrehten Klassenzimmers. Die Idee, die bei Stagl einen Nerv traf: Dass in der Schule oder im Hörsaal der Stoff vorgetragen wird und die Schüler bzw. Studenten diesen dann zu Hause anwenden, hinterfragen und kritisieren müssen, sei eigentlich widersinnig. "Ich habe mir dann gedacht: Wir verbringen eigentlich viel zu viel Zeit mit Vorlesungen und den schwierigeren Teil müssen die Studierenden alleine leisten", sagt die Professorin. Zurück in Wien bat sie die WU um Unterstützung und macht es für ihre Masterstudenten seither anders.

Manche hinken hinterher. Flächendeckend durchgesetzt hat sich so etwas an den heimischen Hochschulen noch nicht. "Grundsätzlich muss man aber sagen: Alle tun was", sagt Martin Ebner von der TU Graz, der auch Präsident des Forums neue Medien in der Lehre Austria (FNM) ist. Es gibt keine Uni, Fachhochschule oder Pädagogische Hochschule, die sich mit digitaler Lehre überhaupt nicht befasst, zeigt eine Studie, die das FNM vergangenes Jahr herausgegeben hat, wobei besonders manche Pädagogischen Hochschulen nach wie vor noch etwas hinterherhinken. Oft geht die Initiative für Onlinelehre aber von einzelnen Lehrenden aus.

Neben dem verkehrten Klassenzimmer, das immer mehr Professoren einsetzen, wofür manche ihre Vorträge auf Video aufnehmen, gibt es etwa in Salzburg den Informatikprofessor Wolfgang Pree, dessen Studierende wählen können, ob sie bestimmte Lehrveranstaltungen regulär absolvieren wollen, oder sich den Stoff in einem Onlinekurs auf Coursera, edX oder Udacity aneignen wollen sogenanngen MOOCs, die von Eliteuniversitäten wie Stanford oder Harvard gespeist werden. In Graz hat Martin Ebner selbst einen offenen Onlinekurs gestaltet: Auf imoocs.at lädt er wöchentlich drei 15-minütige Videos über die gesellschaftlichen Aspekte der Informationsgesellschaft hoch. Neben 600 Studenten melden sich dafür auch 200 bis 300 Nicht-Studenten an.

An der Uni Klagenfurt verändern sich auch die Prüfungen: Statt mit Stift und Zettel am Montag um acht Uhr anzutreten, können Studenten in einigen Fächern zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb einer bestimmten Woche mit ihrem eigenen Laptop an die Uni kommen. Auf diesem wird grundsätzlich alles gesperrt je nach Prüfung können etwa Online-Gesetze, Excel oder der Zugang zur Lernplattform freigeschaltet sein. Und aus einem großen Fragenpool, den die Lehrenden sich zuvor ausgedacht haben, stellt der Computer für jeden Studenten eine individuelle aber gleich schwere Klausur zusammen.

Dass diese Initiativen so herausstechen, ist aber auch ein Indiz dafür, dass Onlinelehre nicht wirklich strategisch verankert ist. Auch wenn sich Lernplattformen verbessert haben, sagt Ebner: "Es braucht dringend eine echte Strategie." Da geht es etwa um die Infrastruktur aber auch um die Schulung der Lehrenden. "Es ist ja nicht so, dass eine Digitalisierung der Hochschullehre automatisch stattfindet, wenn alle Studierenden ein Tablet haben." Und man komme auch nicht daran vorbei. "Wenn der Arbeitsmarkt verlangt, dass Menschen digital über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten, muss ich sie an den Hochschulen darauf vorbereiten."

Dass die Hochschulen irgendwann nur noch verwaiste Gebäude mit ein paar Professoren und ein paar unbelehrbaren Seniorstudenten sind, glaubt keiner. "Ich habe die Angst nicht", sagt Ebner. Manches könne man auslagern, anderes eher nicht. "Eine Vorlesung kann man vielleicht online gestalten. Ein Chemielabor zu virtualisieren, bringt es aber nicht wirklich", sagt er. "Und wir treffen uns, um Sachen miteinander auszudiskutieren." WU-Professorin Stagl sieht das ähnlich. "Unser Ziel ist nicht, alles umzustellen. Vielfältige Lehrmethoden motivieren die Studierenden besser zum Lernen." Und fast paradoxerweise erlaubt die Digitalisierung ja eben, mehr Zeit für Interaktion freizuschaufeln.

Gefühlt mehr Aufwand. Das klappt aber natürlich nur, wenn sich auch jeder das Video vor der Lehrveranstaltung ansieht. Was nicht nur für die Lehrenden, sondern auch für die Studierenden mehr Aufwand ist für Letztere zumindest gefühlt. "Die Studierenden haben den Eindruck, dass sie mehr Zeit hineinstecken müssen, obwohl wir natürlich die Leseliste etwas gekürzt haben", sagt Stagl. Nachdem sie die Studenten notieren ließ, wie viel Zeit sie aufwenden müssen, dürfte der Aufwand aber in ihrer Lehrveranstaltung ziemlich genau dem entsprechen, was an ECTS verlangt ist. Gerade in besonders intensiven Zeiten merkt sie aber, dass nicht so viel diskutiert wird wie sonst.

("UniLive"-Ausgabe, 27.09.2017)

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