Mein Dienstag

Stadt ohne Autos

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Das Erste, was uns auffiel: diese Ruhe.

Keine Grabesstille, sondern die Abwesenheit von Motorengeheul. Dann, als wir aufs sonntägliche Trottoir traten, der nächste Eindruck: Die Luft ist besser. Kein rußig-metallischer Hautgout in der Nase, kein stilles Unbehagen, wie sich die notorisch hohe Luftverschmutzung wohl auf die zarten Atemwege der Tochter auswirken mögen. Der jährliche autofreie Sonntag in Brüssel hat auch heuer wieder die Fantasie angeregt: Wie sähe eine Stadt aus, wenn sie sich in erster Linie nach den Bedürfnissen der Fußgänger und Radfahrer richten würde?

Es war fantastisch. Flohmärkte auf vielen Straßen, Garküchen, fröhliche Geselligkeit. Könnte nicht jeder Tag autofrei sein, fragten wir uns. Nicht nur das schwer zu fassende Lebensgefühl, auch die nüchtern messbare Luftqualität sprachen dafür: Am Montagmorgen danach wurde zum heuer ersten und wohl einzigen Mal keiner der Grenzwerte für Luftschadstoffe überschritten, das amtliche Prädikat für die Atemluft lautete: Gut. Diese Stadt, die man in einem Irrsinnsanfall der Zwangsmodernisierung Mitte der Fünfzigerjahre mit Autotunnels untergraben hat, wo das absurde belgische Einkommensteuersystem mit seiner Förderung des Kaufs von Firmenwagen das Seine dazu beiträgt, dass Brüssel Jahr für Jahr die Statistik der am stärksten von Staus betroffenen europäischen Städte anführt: Käme sie nicht besser ohne den Personenindividualverkehr aus?

Ich denke, diese Frage ist rein hypothetisch. Man mag Autos ablehnen oder mögen, an ihrer Existenz in unseren Städten lässt sich wenig und das nur mit unpopulären politischen Eingriffen ändern. Vielleicht wäre für alle Beteiligten des mit beinahe religiösem Eifer geführten Streits über den Stadtverkehr gewonnen, wenn die Bereitschaft zum Kompromiss das Zelotentum ersetzte. Fußgehen ist gesund und oft praktischer, für die Masse der Stadtbewohner sind öffentliche Verkehrsmittel die beste Wahl, und wer radeln will, soll das ohne ständige Angst vor tödlichen Unfällen tun können: Über all das nachzudenken lädt der autofreie Sonntag ein – erst recht der Stau am Montag danach.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2017)

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