Frauke Petry, die frühere Galionsfigur der Rechtspopulisten, sorgte gleich für einen Eklat. In Ostdeutschland avancierte die AfD zur zweitstärksten Kraft.
Berlin. Der Wahltriumph und der Radau der AfD-Gegner am Alexanderplatz lagen nur wenige Stunden zurück, da riss ein Paukenschlag die Wahlsieger aus ihrem Taumel. Auf dem Podium der Bundespressekonferenz hatte sich Montagfrüh die AfD-Spitze vollzählig versammelt: das Spitzenkandidatenduo Alexander Gauland und Alice Weidel, die Ko-Parteichefs Jörg Meuthen und Frauke Petry. Als letzte ergriff Petry das Wort, und sie versetzte ihre Parteifreunde – besser: ihre Parteirivalen – mit ihrer Ankündigung, die Fraktion zu verlassen, in Erstaunen.
Mit der AfD, so argumentierte sie, sei konstruktive, konservative Politik, die einen Politikwechsel einleiten könnte, nicht machbar. Sagte es und ging stante pede – und ließ die Parteiführung einigermaßen verdutzt zurück, die sich sogleich fragen lassen musste, ob der nun abtrünnigen Galionsfigur der Protestpartei nicht auch noch eine Schar an Abgeordneten folgen würde. Der Tag nach dem Wahlschock hatte mit einem Eklat begonnen, einem Affront gegen die AfD – und er bestätigte die Unkenrufer, die vor politischen Turbulenzen und Spaltungstendenzen bei den Rechtspopulisten gewarnt hatten. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich prompt noch am Montag die Fraktion wegen ideologischer Differenzen gespalten.
AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel empörte sich danach über Petrys Abgang, „der an Verantwortungslosigkeit kaum zu überbieten war“: Sie drängte die Noch-AfD-Chefin dazu, nun auch die Partei zu verlassen - „um nicht weiteren Schaden anzurichten“. Gauland erklärte indes, dass sich Petry der AfD-Fraktion verweigere, sei „nicht nur Verlust“. Am Wahlabend und noch am Montagmorgen hatte Petry einige TV-Interviews gegeben, ihren Überraschungscoup jedoch geheimgehalten. In ihrem Wahlkreis in der Sächsischen Schweiz hatte die 42-jährige Ostdeutsche ein Direktmandat gewonnen – was etwa Gauland versagt blieb. Die Entfremdung zwischen den beiden ungleichen Führungsfiguren, die beim Putsch gegen Parteigründer Bernd Lucke vor zwei Jahren noch ein Zweckbündnis geschlossen haben, wirft seit Längerem Schatten auf die Partei.
Ins Abseits gedrängt
Gauland hatte Petry im Frühjahr mit ihrer Forderung nach einem Parteiausschluss des Thüringer AfD-Chefs, Björn Höcke, abblitzen lassen, ihren Antrag auf eine Regierungsperspektive abgeschmettert und schließlich auch ihre Kür zur Ko-Spitzenkandidatin verhindert. Er drängte die Chemikerin zunehmend ins Abseits, in eine Außenseiterrolle. Die persönliche Chemie war schwer gestört.
In der Partei sorgte Petrys Plakatsujet mit ihrem Baby, Ferdinand, für Kopfschütteln. Gauland beklagte sich über Petrys Absagen von Wahlkampfauftritten. Die Sächsin wiederum übte kurz vor der Wahl massive Kritik an der Wahlkampfrhetorik Gaulands und Weidels, beispielsweise gegen die Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz („in Anatolien entsorgen“) und über das Lob Gaulands für Wehrmachtsoldaten beim Kyffhäuser-Treffen, einen symbolischen Ort für die rechtsradikale und völkische Szene. Sie sei entsetzt, zumal dies bürgerliche Wähler verschrecke, ließ sie ihm via Interview ausrichten. Das Verhältnis zwischen den beiden war somit vollends zerrüttet.
Gauland und Petry, die Protagonisten des nationalkonservativen und des eher moderaten Flügels, haben ihre politische Heimat im Osten Deutschlands. Gauland hat von Potsdam aus, der Hauptstadt Brandenburgs, seine Polit-Karriere in der AfD gestartet. Petry machte in Dresden als Fraktionschefin im Landtag über Sachsen hinaus Furore. Zugleich kokettierte sie mit der islamkritischen Pegida-Bewegung, die mit ihren Montagsdemonstrationen die Unsicherheit der Wutbürger und den Volkszorn gegen die Elite und die Große Koalition zum Jahreswechsel 2015 erstmals artikulierte – also noch vor Beginn der großen Flüchtlingskrise im Spätsommer.

Die FPÖ als Vorbild
Es brodelt in den neuen Bundesländern, und es ist kein Zufall, dass Protestparteien wie die AfD oder die Linkspartei hier den stärksten Zulauf haben. Just in den Bastionen der Postkommunisten haben sich die Rechtspopulisten als Antisystempartei etabliert. Zum Teil gab es fliegende Wechsel von Linkspartei zur AfD, die sich schon bei den Landtagswahlen angedeutet hatten. Die AfD hatte auch im Westen ihre Hochburgen, etwa in Gelsenkirchen im Ruhrpott. Insgesamt schnitt sie in Ostdeutschland doppelt so stark ab wie im Westen. In Sachsen wurde sie mit 27 Prozent überhaupt zur stärksten Kraft. Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg rangieren dicht hinter dem Wirtschaftsvorzeigeland mit den Modellstädten Dresden und Leipzig. Insgesamt stieg die AfD in der ehemaligen DDR, zwischen Ostsee und Erzgebirge, zur zweitstärksten Partei auf. Unter den ostdeutschen männlichen Wählern wurde sie zur stärksten Kraft.
„Die AfD-Anhänger sind Durchschnittsverdiener, sie gehören keineswegs dem Prekariat an. Doch sie fühlen sich ausgeliefert“, analysiert Hendrik Träger, Politologe an der Uni Leipzig. Viele Ostdeutsche, zumal die Älteren, hätten den Bruch durch die Wende 1989 noch nicht überwunden. Als die Topthemen auf ihrer Agenda nennt er: Zuwanderung, Kriminalität und Frieden. „Die Flüchtlingsproblematik ist der Kitt, der die AfD-Wähler eint.“ Dass der Volkszorn auf Berlin, die Große Koalition und die Kanzlerin hier besonders tief sitzt, bekam Angela Merkel – selbst eine Ostdeutsche – immer wieder am eigenen Leib zu spüren. In ihrem Wahlkreis holte Merkel zwar das Direktmandat, büßte aber zwölf Prozentpunkte ein.
Gauland will nun die Regierung „jagen“, wie er am Montag wiederholte. Als Vorbild für seine Partei hatte er mehrfach die FPÖ ausgemacht. Die AfD fühle sich Österreichs Rechtspopulisten „freundschaftlich verbunden“, sagte der AfD-Frontmann am Montag und erinnerte an das Treffen mit Parteichef Heinz-Christian Strache in einem Wiener Hotel im Mai. Damals hatte Gauland der „Presse“ erklärt, seine Partei könne von der FPÖ „viel lernen“, zum Beispiel, dass man nie als Juniorpartner in eine Koalition gehen sollte. Petry sah das anders. Auch wenn sich die Frage nach einer Regierungsbeteiligung für die isolierte AfD nicht stellt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2017)