26. September

Jamaika-Koalition in Berlin, Josefstadt-Koalition in Wien

Guten Morgen! Angela Merkel ist nicht zu beneiden. Da hat sie es zwar als Erste mit großen Verlusten ins Ziel geschafft und ist nun der Laune zweier selbstbewusster Kleinparteien ausgeliefert. Nachdem die SPD gedemütigt den Gang in die Opposition antritt, bleibt Merkel nur noch die Bildung der Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen. Die beiden Parteien stehen sich inhaltlich fern, Christian Lindner dürfte bei der grünen Basis ähnliche Reaktionen auslösen wie hierzulande Sebastian Kurz beim Parteikongress der Wiener Grünen. Aber immerhin nicht so negativ wie Peter Pilz.

Sollte Sebastian Kurz tatsächlich die Wahl gewinnen, dürfte er – ja selbst ein überraschender Christian Phönix-aus-der-Asche Kern - jedenfalls mehr Optionen als nur eine haben. Entweder der unterlegene ehemalige Regierungspartner oder die FPÖ steht zur Wahl. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Koalition zwischen dem Wahlsonntag-Zweiten und -Dritten ausgeht, ist nicht sehr hoch. Selbst wenn es sich knapp ausgeht, viel Applaus wird eine Koalition aus Wahlverlierern nicht bekommen. Sollte es die SPÖ sein, die weit hinter Kurz zu liegen kommt, wird dort intern ohnehin erst einmal fest gestritten: über Wien, über den künftigen Kurs, über den künftigen Parteichef. Und dann wäre da noch die bisher eher theoretische Variante einer auf Österreich umgelegten Jamaika-Koalition. Christian Kern träumte vor dem Auftauchen Kurz’ immer von einer Ampelkoalition, aber es dürfte ein Wunschtraum bleiben. Nach der Berliner Notwendigkeit hat nun aber eine vergleichbare Combo für Österreich wieder „Fantasie“ und „Charme“ gewonnen, wie einst liberale ÖVP-Aktivisten für Schwarz-Grün romantisiert haben, ehe der Parteipapa Wolfgang Schüssel den Flirt kaltherzig beenden ließ. Diese Abfuhr war übrigens einer von mehreren Gründen, warum sich einst ÖVP-nahe Wiener zur Gründung der Neos entschlossen.

Zugegeben: Aus heutiger Umfragensicht ist eine Mehrheit für die Liste Kurz formerly known as ÖVP, Neos und Grünen alles andere als absolut. Die ÖVP kommt meist auf 32 Prozent, Grünen und Neos auf je fünf bis sechs, ergibt zusammen 44. Was aber, wenn es Grüne und Neos dem deutschen Beispiel folgend in Richtung Zweistelligkeit schaffen? Und/oder wenn die ÖVP 35 Prozent schafft? Dann wäre eine solche bunte Koalition möglich, die in städtischen Kreisen wohl beliebter als Schwarz-Blau oder Schwarz-Rot wäre. Jamaika könnte man sie nicht nennen, die Neos sind nicht gelb, sondern flamingofarben. Vielleicht nennen wir sie Josefstadt-Koalition, die ÖVP war und ist Platzhirsch, aber sowohl Grüne als auch Neos feierten hier Erfolge. Innovativ wäre eine solche Regierung auf jeden Fall, Kreativität wäre auch vorhanden, und neue Politiker, die etwas verändern wollen, auch. (Und nicht zu wenige Selbstdarsteller.) Und Sebastian Kurz wäre seine schwarz-blaue Sorge los: Was nämlich passieren würde, würde die FPÖ das Innen- oder das Außenministerium übernehmen. Nichts Gutes, wie Kurz ahnt. Die heftigen Attacken Heinz-Christian Straches gegen Kurz haben diesen nicht gerade in eine plötzliche schwarz-blaue Euphorie versetzt . . .

Und wie zum Beweis dieser angedachten, aber unwahrscheinlichen Beziehung gestaltete sich das Puls4-Duell zwischen Kurz und Strolz, wie es Oliver Pink fußballerisch beschreibt: „Erst raste der grüne Planet am türkisen vorbei. Danach war dann auf demselben Planeten bürgerliches Derby. Und wie bei Derbys eben üblich ging es bei Matthias Strolz gegen Sebastian Kurz intensiver zur Sache als zuvor bei Ulrike Lunacek gegen Sebastian Kurz. Allerdings: Es wurde nicht wirklich hart gespielt. So aggressiv Strolz in der Vorwoche auf Puls4 in SPÖ-Chef Christian Kern hineingegrätscht ist, so kontrolliert ging er nun gegen Kurz in die Offensive. Irgendwie hat man den Eindruck, als hätten die Neos Umfragen, die ihnen nahelegten, Kurz nicht allzu heftig anzugreifen. Denn nicht nur die beiden Parteien sind Früchte vom selben Baum, sondern auch die Wähler. In der Fankurve der Neos (auf Twitter etwa) gewinnt man ja oft den gegenteiligen Eindruck: Als wäre die Kurz-Partei das Böse schlechthin. Nun duzte ihr Teamchef den anderen auf dem Spielfeld. Und mitunter bewarfen sie sich auch mit Wattebäuschen. Kritik und Wertschätzung wechselten sich ab.“ Wenn das die Neos gesehen haben!

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