Kopenhagen: Der dürre Klima-Kompromiss

DENMARK COPENHAGEN CLIMATE SUMMIT
DENMARK COPENHAGEN CLIMATE SUMMIT(c) EPA (Kay Nietfeld)
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Mit Müh und Not wurde bei der UN-Klimakonferenz ein Minimalstkonsens "zur Kenntnis" genommen - nach langwierigen Grabenkämpfen zwischen den Länderblöcken. Das Abkommen ist zahnlos und enthält kaum Verpflichtungen.

Am Samstagmorgen glich das Bella-Center am Rand von Kopenhagen einem Schlachtfeld – so wie es nach einem Popkonzert aussieht, nachdem die Menschenmassen das Gelände verlassen haben. Auch die Heizung war bereits abgestellt, die winterliche Kälte griff auf den Schauplatz der UN-Weltklimakonferenz über.

Nur ein Raum war noch nicht verwaist: jener Saal, in dem die Vertreter von 192 Staaten schon seit 24 Stunden zu retten versuchten, was von einem neuen Klimaabkommen noch zu retten war. Um 10.33 Uhr schließlich ließ der Vorsitzende sein Holzhämmerchen fallen, nachdem er verkündet hatte, dass die Versammlung den Copenhagen Accord „zur Kenntnis genommen“ habe. Das ist die schwächste Art und Weise, wie ein internationaler Vertrag in Kraft treten kann.

Die Staaten verpflichten sich darin, wie berichtet, zu einem Minimalstkonsens: Die Erderwärmung soll unter zwei Grad Celsius bleiben; Entwicklungsländer bekommen Milliardenhilfen im Kampf gegen den Klimawandel; und wer Geld in Anspruch nimmt, muss sich international kontrollieren lassen. Viele Dinge zu einem umfassenden Abkommen fehlen aber: So wurde etwa kein Langfristziel für den CO2-Ausstoß beschlossen. Und welches Land wie viel Emissionen einsparen will, muss erst bis Februar bekannt gegeben werden. Man darf darauf wetten, dass das Zweigradziel nicht erreichbar ist. Die bisher bekannten Pläne reichen gerade aus, um die Erwärmung bei drei Grad zu begrenzen.

Das ist also von der größten Konferenz, die die Menschheit jemals gesehen hat, geblieben: ein dürres dreiseitiges Papier, das „möglichst bald im Jahr 2010“ in einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag münden soll – so formulierte es UN-Generalsekretär Ban Ki- moon zum Abschluss der zweiwöchigen Versammlung, zu der 40.000 Teilnehmer, darunter mehr als 120 Staats- und Regierungschefs angereist waren.

Den Optimismus des UN-Chefs in allen Ehren – Beobachter meinen dagegen, dass die Gräben zwischen den Staaten und Regionen tiefer sind denn jemals zuvor. Dafür ist auch der dänische Vorsitz mitverantwortlich, dem die Konferenzleitung schon vor einigen Tagen entglitten ist, nachdem diplomatische Schnitzer passiert sind, die viele Länder, vor allem jene aus der Dritten Welt, erbost haben. All diese Irritationen haben sich in der Nacht zum Samstag endgültig entladen. Nachdem die Konferenz bereits mehrmals vor dem Abbruch gestanden war, hat eine Gruppe von 25 Regierungschefs das Heft in die Hand genommen und ihrerseits einen Vorschlag für eine Abschlusserklärung ausgearbeitet. Die Federführung hatten zwei Akteure – zwischen denen es offenbar kaum Koordination gab: US-Präsident Barack Obama versuchte mit allen Mitteln, die großen Schwellenländer ins Boot zu holen. Und die EU-Kommission widmete sich den Entwicklungsländern.

Die Vorgeschichte: Den ganzen Freitag über wurde um Zahlen, Wörter, Beistriche gefeilscht. Einmal wurde verlautet, dass es Fortschritte gebe, dann kamen wieder Rückschläge. Es ging sehr zäh voran, selbst abgebrühte Verhandlungsprofis äußerten sich bereits skeptisch, dass noch etwas gelingen könnte.


Die Einigung, die keine war. Kurz nach 22.30 Uhr traten US-Präsident Barack Obama und der französische Staatschef Nicolas Sarkozy unabhängig voneinander vor die Presse – in Kopenhagen war ein Heer von 3500 Journalisten anwesend – und verkündeten eine Einigung. Damit war aber nichts zu Ende, es war erst der Beginn der chaotischsten Verhandlungsnacht, die eine UN-Konferenz jemals gesehen hatte. Denn es stellte sich heraus, dass viele Staaten von der angeblichen Einigung nichts wussten. Die chinesische Delegation etwa monierte, dass sie den Text niemals gesehen habe. Auch unter EU-Vertreten war man völlig ratlos. Eine eilig einberufene Sitzung der europäischen Regierungschefs wurde Stunde um Stunde verschoben – gegen zwei Uhr in der Nacht akzeptierten sie zähneknirschend das windelweiche Papier, das Obama mit China, Indien, Brasilien und Südafrika ausgedealt hatte.

Dann traten aber noch andere Staaten auf den Plan: Der Inselstaat Tuvalu – der ein Versinken im steigenden Pazifik befürchtet – beklagte, dass es im „Copenhagen Accord“ keine langfristigen Emissionsziele gebe. Das hatten China und Indien zuvor verhindert. In einem früheren Entwurf gab es noch eine Passage, laut der der globale CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2050 um die Hälfte reduziert werden müsse. Und schließlich kam noch eine Fundamentalopposition aus Lateinamerika. Aufgehusst vom venezolanischen Staatschef Hugo Chávez opponierten unter anderem Bolivien und Kuba gegen das Papier, das von westlichen Kapitalisten diktiert worden sei – mit Klimapolitik hatte das nichts mehr zu tun. Delegationskreisen zufolge hat sich am Samstagvormittag UN-General Ban Ki-moon in die Schlacht geworfen, um diese Länder doch noch zum Einlenken zu bewegen. Am Ende mit Erfolg.

Die ersten Reaktionen auf den Miniklimavertrag von Kopenhagen fielen sehr gemischt aus. US-Präsident Obama bezeichnete die Einigung als „unzureichend“. Sie dürfe erst der Anfang weiterer Anstrengungen sein. China dagegen habe den Gipfel „glücklich“ verlassen, sagte ein Verhandler: Beide Seiten hätten ihre Interessen wahren können. Auch Indien lobte den Kompromiss, der „gut für alle Entwicklungsländer“ sei. Enttäuschung machte sich hingegen in der EU breit. Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte, dass das Ergebnis unter den europäischen Ambitionen liege. Österreichs Kanzler Werner Faymann sprach, ganz in EU-Diktion, von einem „wichtigen Zwischenschritt“, dem ein verbindliches Abkommen folgen müsse. Deutlicher reagierte Umweltminister Nikolaus Berlakovich: Es sei „ein schwarzer Tag für den Klimaschutz“. Was übrig bleibt, sei lediglich eine Aufforderung, weiterzumachen. „Ein schwaches Resultat.“

Wer ist schuld, dass die Kopenhagener Klimakonferenz zu einer Farce wurde? Dass anstatt eines völkerrechtlich bindenden Vertrags nur ein schwaches Abkommen herauskam – und das auch nur mit größter Mühe? Erstens die Haltung Chinas: Das Land wollte alles verhindern, was gegen seine Interessen steht. Besonders wichtig: die nationale Souveränität – China wehrte sich erfolgreich gegen eine internationale Überprüfung der CO2-Einsparungen und gegen verbindliche Emissionsziele. Weil dem Land das große Wachstum erst bevorsteht und diese in der Folge die chinesische Wirtschaft treffen würden. Zweitens war die Vorsitzführung, wie erwähnt, nicht optimal. Drittens ist die Materie an sich sehr komplex, da Maßnahmen zum Klimaschutz viele Politikbereiche beeinflussen. Und viertens spielte in die Sachfragen die Weltpolitik massiv hinein – es ging um nichts Geringeres als um die Führerschaft in der Welt. Der EU ist kaum eine Schuld am Beinahescheitern des Gipfels zu geben: Sie versuchte alles, sie war im Hintergrund immer die treibende Kraft, die die Konferenz mehrmals vor einem Totalabsturz bewahrte. Doch am Schluss ließ sie sich das Heft von den USA aus der Hand nehmen.


Kleine Erfolge. Man sollte das Kind aber nicht mit dem Bade ausschütten. Bei einigen Punkten gab es Fortschritte. Am wichtigsten: Erstmals haben alle Staaten der Welt ein Papier mit Klimaschutzzielen beschlossen. Startklar ist nun die Finanzhilfe für Entwicklungsländer, rund zwei Drittel der 30 Milliarden Dollar für die nächsten drei Jahre stehen schon bereit. Schließlich enthält der Kompromiss einen Auftrag zum Weiterverhandeln – ohne den schwachen Kompromiss wäre selbst das nicht möglich gewesen. Die nächste Klimakonferenz soll Ende 2010 in Mexiko stattfinden. Schon im Juni treffen sich die Umweltminister in Bonn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2009)

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