Warum TGV und ICE einander brauchen

Der Schnellzug TGV von Alstom ist ein Symbol Frankreichs – bisher. [
Der Schnellzug TGV von Alstom ist ein Symbol Frankreichs – bisher. [(c) APA/AFP/MEHDI FEDOUACH
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Eine Fusion von Alstom mit der Zugsparte von Siemens soll einen europäischen „Airbus der Schiene“ schaffen, der die übermächtige Konkurrenz Chinas abwehrt. Bombardier droht Isolation.

München/Paris. Auf wenige Errungenschaften ihrer Ingenieurskunst sind die Franzosen so stolz wie auf den TGV. Der Hochgeschwindigkeitszug gilt als nationales Symbol. Und so kann es nicht überraschen, dass rechte Politiker am Dienstag den Teufel vom „Ausverkauf“ an die Deutschen und der „Auslöschung der französischen Industrie“ an die Wand malten. Der Anlass: In München tagte ein Aufsichtsrat, in Paris ein Verwaltungsrat. Das Ziel beider Gremien: Grünes Licht für einen europäischen Zugriesen, eine Art „Airbus der Schiene“. Die Bahnsparte von Siemens soll mit Alstom fusionieren. Eine Entscheidung stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest, aber alle Insidermeldungen deuteten auf eine Einigung hin.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung heißen den Deal gut, man will damit auch die deutsch-französische Achse stärken. Peinlich genau wurde austariert, dass keine der beiden Seiten ein Übergewicht hat: Siemens erhält 50 Prozent und eine Aktie der neuen Firma, die aber in Frankreich ihren Sitz hat und an der Pariser Börse gelistet ist. Leiten soll sie Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge, dem Verwaltungsrat darf ein Siemensianer vorstehen.

Um die Firmenwerte auszugleichen, bekommen die Alstom-Aktionäre eine Sonderdividende. Sie kommt aus dem Cash-Berg, auf dem die Firma seit dem Verkauf der Energiesparte an General Electric im Jahr 2014 sitzt (seitdem ist es ein reiner Zughersteller). Aus jener Zeit rühren auch die Ressentiments der Münchner, die es nun zu überwinden gilt: Siemens hatte damals als Bieter das Nachsehen.

Wieder erwacht ist die Freundschaft durch die Bedrohung von außen: Vom Staat arrangiert, fusionierten in China 2015 zwei Zugbauer zum uneingeschränkten Weltmarktführer CRRC. Mit 35 Mrd. Dollar Umsatz ist er doppelt so groß wie eine Siemens-Alstom-Allianz. Noch ist er fast nur am Heimmarkt tätig, aber Peking treibt mit billigen Krediten die globale Expansion voran. Im Westen gibt es drei größere Anbieter: Siemens, Alstom und Bombardier in Kanada. Jedem ist klar: Er muss sich mit einem Konkurrenten verbünden, um dem Ansturm standzuhalten. Zwangsläufig bleibt einer übrig, der dann in der strategischen Zwickmühle sitzt: zu klein, um allein zu überleben, und eine willkommene Beute für die Chinesen. Lange sah es so aus, als könnte Alstom dieses Schicksal erleiden. Denn Siemens verhandelt schon länger mit Bombardier, seit August soll ein fertiger Vertrag in der Schublade liegen. In den Schwerpunkten hätte man sich besser ergänzt: Siemens hat seine Stärken bei der Signaltechnik und Schnellzügen, Bombardier bei kleineren Stadtbahnen. Aber offenbar schreckten die Münchner vor der nicht rosigen finanziellen Situation von Bombardier zurück.

Jobs in Gefahr?

Wie aber steht es um die 60.000 Arbeitsplätze, die Siemens-Alstom auf sich vereint? Die Frage betrifft auch Österreich, wo in Simmering und Graz 2300 Mitarbeiter im Bereich „Mobility“ tätig sind. Siemens-Chef Joe Kaeser beruhigt: Durch die Urbanisierung braucht die Welt mehr umweltfreundliche Züge, der Markt wächst. Alstom ist in Österreich nicht präsent, es gibt keine Überschneidungen mit Siemens – anders als im Norden Frankreichs, wo Werke beider Firmen nahe beieinander liegen.

Wie die französische Politik mit drohenden Schließungen umgeht, zeigte sich vor einem Jahr: Um 400 Alstom-Jobs in Belfort zu retten, zwang die Regierung von Präsident Hollande die Staatsbahn zum Kauf von 15 TGV, die diese weder will noch braucht. Sie verkehren künftig auf normalen Strecken – ein Hochgeschwindigkeitszug auf der Kriechspur. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2017)

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