27. September

Großes Europa, kleines Europa, Österreichs Europa

Guten Morgen! EU-Politik spielt eine sonderbare Rolle in den Nationalstaaten. Den einen dient sie als Sündenbock für jedwede Fehlentwicklung, den anderen als schönes Feld für Ablenkung von innenpolitischen Problemen. Wir erinnern uns an Werner Faymann, der einst an der Hand des "Kurier"-Chefredakteurs plötzlich den Moment der Erleuchtung, falsch: der Erglühung hatte. „Ich bin ein glühender Europäer“ titelte der ebenso begeisterte journalistische Freund damals.

Ähnlich, wenn auch wesentlich gewichtiger gibt nun Emmanuel Macron den großen Europäer. Wohl nicht ganz zufällig nach der halben Wahlniederlage Angela Merkels hielt er seine große Grundsatzrede zur Europäischen Union.  Die EU sei derzeit „zu langsam, zu schwach, zu ineffizient“, so Macron an der Universität Sorbonne in Paris. Er spreche sich für ein starkes Europa aus, das auch auf die Herausforderungen einer globalisierten Welt reagieren können soll. Dazu zählen laut Macron ein gemeinsamer Etat der Eurozone und ein gemeinsamer Finanzminister. Das sieht er als Lehre der Eurokrise, die den Kontinent tatsächlich an den Rand des Abgrunds geführt hat. Macron will auch eine sachte Steuerharmonisierung – bei Unternehmenssteuern.
Macron sprach sich zudem für einen Mindestlohn in der EU aus.

Macron warb auch wieder für seine Idee eines Kerneuropa, also für einen einheitlichen deutsch-französischen Markt. Bis 2024 könne dieser geschaffen werden, glaubt Macron. Und weiter: Bis zum Anfang des kommenden Jahrzehnts sollte es in der EU eine „gemeinsame Interventionstruppe“, ein gemeinsames Verteidigungsbudget und eine gemeinsame Doktrin für Einsätze geben, so Macron weiter.

Nur zur Erinnerung: Macron spricht von jenem Europa, das nicht einmal in der Lage war, ein paar Tausende Flüchtlinge einigermaßen gerecht aufzuteilen. Er spricht von jenem Europa, das den Bruch der eigenen Spielregeln von Maastricht-Überschreitung bis zur griechischen Bilanzfälschung de facto sanktionslos hingenommen hat. Das schwer verschuldet ist und in vielen wirtschaftlichen Bereichen hinter andere Wirtschaftsräume zurückgefallen ist. Das passt alles zu Jean-Claude Juncker, der nach der Krise nun neue Mitglieder aufnehmen will.

Davon, die bisherigen Probleme wie die genannten nationalstaatlichen Egoismen bei der Flüchtlingsfrage auszudiskutieren und zu beseitigen, spricht keiner. Stattdessen Expansion und Euro-Erweiterung. Das kann alles wieder sehr heiter werden.

Interessanterweise spielt Europa im österreichischen Wahlkampf wieder einmal kaum eine Rolle. Das mag auch unsere Schuld sein. Wir fragen zu wenig laut danach.

Hier ein schneller Überblick über die Europa-Positionen.

Die SPÖ will die EU ähnlich wie Macron aber massiv aufwerten. Gemeinsame Sozialstandards sollen her. Aber: Die SPÖ will deshalb strengere Auflagen für ausländische Firmen, die in Österreich aktiv sind. In Problembranchen und -regionen soll der Zuzug von ausländischen Arbeitskräften durch Bedarfsprüfungen geregelt werden. Freier Dienstleistungsverkehr? Nur, wenn es uns hilft!

Die ÖVP will die EU zwar reformieren, aber nicht mit mehr Kompetenzen aufwerten. Verteidigung, Außengrenzenschutz ja, der Rest soll bitte in den jeweiligen Staaten entschieden werden. Und auch die ÖVP sagt: "Österreichische Arbeitnehmer zuerst. Auch EU-Bürger sollen Sozialleistungen erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Österreich bekommen." Das wird eine interessante Session des EU-Verfassungsgerichtshofs.

Für die FPÖ erkennt Heinz-Christian Strache Vorteile für Großbritannien durch den Brexit. (Davon weiß Theresa May übrigens nichts.) Ein Austritt aus der EU ist für die FPÖ aber kein Thema. Allerdings wollen auch die Freiheitlichen die Union neu aufstellen. Die EU soll Rechte an die Nationalstaaten zurückgeben und weniger zentralistisch werden.

Die Grünen wollen die EU und das EU-Parlament auf Kosten der Regierungen (und Parlamente) der Nationalstaaten aufwerten. Johannes Voggenhuber mag dennoch Peter Pilz lieber. Zur Umsetzung einer großen Reform fordern die Grünen einen Europäischen Konvent mit Beteiligung der Bevölkerung. Das ist eine gute Idee.

Die Neos wollen eine „Republik Europa", in der die Bürger anstelle der nationalen Regierungen das Sagen haben. Aha. „Man kann es sehen wie ein Fahrrad: Europa muss bewegt werden, sonst fallt’s um. Man muss es liebevoll treten", sagt Parteichef Matthias Strolz. Gefordert werden eine Unionsbürgerschaft und eine gemeinsame Armee, denn die Neutralität sei ohnehin „eine ausgehöhlte Phrase". Klingt nach hartem Treten bergauf.

Christian Kern liefert auch wieder News: Im Kleinkrieg mit Wolfgang Fellner setzt er auf einen Inseratenboykott, da dieser ihn als „Prinzessin“ (aus einem internen dümmlichen Geheimdossier, das fast alle Medien hatten) geoutet hat. So schmeckt das Popcorn. Auch hübsch: Kern fordert ein Totalverbot des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat. In der Ära Kern wurde das Mittel von den ÖBB großzügig eingesetzt. Aber man kann klüger werden.

Und noch ein nettes Mail zum gestrigen Mail: "Sehr geehrter Herr Chefredakteur, es freut mich sehr, dass Sie in der Josefstadt – Stichwort Josefstadt-Koalition - etwas Modellhaftes für andere politische Ebenen sehen. Auch wenn entsprechende Mehrheiten für eine solche Koalition (noch) nicht greifbar sind, finde ich es super, dass Sie dies abseits der klassischen Frage „schwarz-blau oder schwarz-rot“ thematisieren. Eine Josefstadt-Koalition wäre echte Veränderung! Mit lieben Grüßen aus dieser Josefstadt, Veronika Mickel, Bezirksvorsteherin.“ Übrigens von der ÖVP. 

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