Konjunktur: Wandertag statt Wahlgeschenke

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Wifo und IHS heben die Prognosen deutlich an. Die Ökonomen beklagen, dass die Politik mitten im Aufschwung weiterhin Schulden und teure Versprechen macht.

Wien. Für die nächste Zeit sehen die Meteorologen in Wien freundliches Herbstwetter voraus. Darüber könnten sich die Abgeordneten freuen, würden sie die Aufforderung von Christoph Badelt ernst nehmen. Der Wifo-Chef empfiehlt ihnen nämlich, am 12. Oktober statt ihrer letzten Sitzung vor der Wahl einen Wandertag abzuhalten.

„Das wäre gut für ihre Gesundheit und die der Wirtschaft“ – angesichts der zu erwartenden Last-Minute-Wahlgeschenke, die künftige Budgets belasten. Der Unmut darüber, dass die Politik den immer stärkeren Aufschwung nicht für Einsparungen und Reformen nutzt, durchzieht die Konjunkturprognosen von Wifo und IHS.

Die Voraussetzungen könnten günstiger kaum sein: Österreich erlebt die stärkste Wachstumsphase seit Mitte der Nullerjahre. „Wir rechnen der positiven Entwicklung hinterher“, gibt IHS-Chef Martin Kocher zu. Beide Institute heben ihre Prognose deutlich an, auch für 2018 (siehe Grafik). „Keinerlei historische Erfahrungen“ gibt es laut Wifo darüber, wozu das untypische Umfeld der guten Konjunktur führt. Üblicherweise hätten Geld- und Fiskalpolitik „bereits deutlich bremsend eingegriffen“. Aber die Geldpolitik der EZB bleibt extrem expansiv, was möglich ist, weil die Inflation nicht anzieht. Es wäre also der ideale Moment, die Staatsfinanzen zu konsolidieren, um später „mehr zu bewegen“ und sich für für Mehrkosten durch die alternde Gesellschaft zu rüsten.

Wie lange hält sich der Plafond?

Wovon keine Rede sein kann: Der Staat macht weiter Defizite (sie nehmen zwar ab, aber ausschließlich wegen sprudelnder Einnahmen und niedriger Zinsen). Die Schuldenquote bleibt mit weit über 80 Prozent viel zu hoch, anders als in Deutschland, wo die öffentliche Hand seit Jahren Überschüsse erzielt und so die Schulden im Verhältnis zum BIP konsequent abbaut. Dabei wäre der Spielraum nun hierzulande größer, weil die heimische Wirtschaft zwei Jahre lang stärker wächst als die deutsche. Zwar begrüßt das IHS Pläne, die Steuerlast zu reduzieren. Aber beide Institute fordern für alle Maßnahmen Gegenfinanzierungen, die bisher fehlen oder nur sehr vage bleiben. Badelt mahnt auch – an unbekannte Adresse – bei der künftigen Regierung ein, nicht mehr Geld auszugeben. Er fürchtet, sie werde Reformen weiter unterlassen, „weil eh alles wunderbar läuft“. Was nicht ewig so anhalten dürfte. Die Unternehmen sind zwar weiterhin sehr optimistisch, aber die Dynamik bei den Zuwächsen schwächt sich ab. Wie lange hält sich der Plafond? Darüber gehen die Erwartungen recht stark auseinander: Das Wifo sieht für 2018 noch einmal 2,8 Prozent Wachstum voraus, das IHS nur mehr 2,1 Prozent. Man sei über die unüblich großen Differenzen froh, verrät Badelt, wolle man doch den Eindruck vermeiden, es gäbe ein „Prognosekartell“. Ein Grund für die Abweichung: Das IHS schätzt die Zuversicht der privaten Haushalte weniger stark ein und glaubt nicht, dass sie ihre Sparquote reduzieren.

Untypisch ist auch der Verlauf des Aufschwungs: Normalerweise startet er mit einem Exportboom, weitet sich auf die Investitionen aus und erreicht am Schluss (über weniger Arbeitslose und höhere Löhne) den privaten Konsum. Diesmal war es umgekehrt: Unterstützt durch die Steuerreform, löste sich zuerst der Rückstau beim Konsum auf (die Haushalte hatten größere Anschaffungen aufgeschoben). Bei den Ausfuhren profitiert Österreich nicht nur von der Belebung in Europa und im Welthandel. Schon in den vergangenen Jahren wuchsen andere Märkte stärker, aber konsumgetrieben – vor allem beim Haupthandelspartner Deutschland. Nun ziehen weltweit die Investitionen an, ein Bereich, wo die heimischen Exporteure besser punkten können.
Damit sollte auch die Arbeitslosigkeit im Prognosezeitraum weiter zurückgehen. Sie bleibt aber auf einem hohen Niveau. Arbeitnehmer können in den Lohnverhandlungen also wenig Druck aufbauen. Neben der Produktivität, die nur sehr schwach wächst, liege hier der Hauptgrund, warum die heimischen Abschlüsse bisher verhalten bleiben. Deshalb seien auch die Lohnstückkosten nicht viel stärker gestiegen als anderswo, obwohl die Inflation seit 2011 meist höher ausfiel als im Schnitt des Euroraums und vor allem in Deutschland. Die Wettbewerbsfähigkeit blieb also erhalten.

Dennoch ist dieses „Inflationsdifferenzial“ ein Problem: Wenn die Löhne trotz relativ hoher Teuerung nur mäßig steigen, drückt das die Kaufkraft. Tatsächlich stagnierte der Konsum drei Jahre lang, trotz wachsender Bevölkerung. Nun ist zu erwarten, dass die Inflation weiterhin höher bleibt als im Schnitt des Euroraums. Das Wifo sieht darin kein gröberes Problem: Der größte Preistreiber sei ohnehin der Tourismus, und die Gäste aus dem Ausland kommen offenbar auch, wenn sie mehr zahlen müssen.

Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale

IHS-Experte Helmut Hofer hingegen warnt sehr wohl vor einer „Lohn-Preis-Spirale“: „Wenn die Inflation bei uns auf Dauer höher ist als in der Eurozone, steigen irgendwann die Löhne“, und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie droht verloren zu gehen. Um das zu vermeiden, könnten die Unternehmen noch kräftiger rationalisieren, was wiederum Arbeitsplätze kosten würde.

Warum aber kommen Löhne und Inflation anderswo nicht vom Fleck, auch nicht in den USA und Deutschland, wo fast Vollbeschäftigung herrscht? Das schwache Produktivitätswachstum ist dabei sicher ein Faktor, aber im Übrigen bleibt es ein Rätsel.

Der IWF hat es diese Woche so zu lösen versucht: Viele Beschäftigte arbeiten (vor allem in den USA) unfreiwillig in Teilzeit. Statt höhere Löhne zu fordern, sind sie nun schon froh, auf Vollzeit aufstocken zu dürfen. Es gehe aber auch um Erwartungen: Die Menschen glauben nicht mehr daran, dass die Geldpolitik die Inflation auf über zwei Prozent treiben kann – und halten sich deshalb bei ihren Lohnforderungen zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2017)

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