Katalonien: "Wir zählen Verletzte, keine Wahlbeteiligung"

APA/AFP/JAVIER SORIANO
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Katalanische Regionalregierung spricht bereits von 760 Verletzten durch die Polizei.

Albert Pujol ist empört, verärgert. Er wollte am Sonntag gerade zusammen mit seiner Frau und der kleinen Tochter in der Pau Romeva Schule in Barcelona beim katalanischen Unabhängigkeitsreferendum wählen, als die spanische Nationalpolizei kam. "Die Beamten wollten die Wahlurnen konfiszieren, wir stellten uns ihnen in den Weg, jedoch ohne irgendetwas zu machen", sagt der 34-jährige Sozialarbeiter.

Dann ging alles ganz schnell. "Sie holten ihre Schlagstöcke raus und schlugen wie Tiere einfach auf uns ein. Die rasteten total aus. Dabei waren wir in der Mehrheit Familien, ältere Menschen", versicherte Pujol der APA. Ein älterer Mann soll von einem Gummigeschoß erwischt, eine andere Frau von der Ambulanz ins Krankenhaus gebracht worden sein. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch.

"Ganz normale Bürger"

"Es sind hier doch keine Anarchisten-Gruppen, die Krawall machen. Hier geben ganz normale Bürger lediglich ihre Stimme beim Urnengang ab", sagt Pujol immer noch ganz aufgeregt. Er zeigt Twitter-Videos von den Gewaltexzessen der spanischen Polizei und eine Twitter-Nachricht von Martin Schulz, in welcher der deutsche SPD-Vorsitzende seine Sorge über die Gewaltausbrüche äußert und Madrid wie Barcelona zur sofortigen Aufnahme von Dialog und Gesprächen auffordert.

In diesem Moment schickt ihm ein Freund per WhatsApp ein neues Handy-Video. Die Aufnahmen sind erschütternd. Die katalanische Regionalpolizei Mosso d'Esquadra postiert sich in einem Wahllokal, um sie vor den Anti-Demo-Einheiten der spanischen Nationalpolizei zu schützten. Danach umarmen einige Bürger einen der Mosso, der in Tränen ausbricht.

Rund 760 Verletzte soll es nach Angaben der separatistischen Regionalregierung bereits geben. Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont hat gegen den Willen und entgegen des Verbots des spanischen Verfassungsgerichts das illegale Unabhängigkeitsreferendum durchführen lassen. Madrid schickte 10.000 Polizeibeamte aus ganz Spanien in die Region, um die Durchführung des illegalen Referendums notfalls mit Polizeieinsätzen zu verhindern, nachdem klar wurde, dass die Regionalpolizei nicht mit Vehemenz gegen die Wähler vorgehen werde.

Dass es so ausarten würde, hätte aber niemand gedacht, versichert Albert Pujol: "Wir befinden uns hier doch nicht in irgendeiner Bananenrepublik oder einer Militärdiktatur, sondern in einem EU-Mitgliedsstaat. Eigentlich berichten die Medien hier bei einem Wahltag über Wahlbeteiligung und abgegebene Stimmen. Doch heute berichten sie nur über die Zahl der Verletzten".

Angst vor Konfiszierung der Wahlurnen

Raquel und Juan, ein junges Pärchen aus dem Stadtviertel Sants, ist beunruhigt. "Auch wir haben natürlich die Bilder aus anderen Wahllokalen gesehen und machen uns Sorgen, dass man auch uns zusammenschlagen könnten, sollte hier jetzt die Nationalpolizei vorbeikommen", sagt Raquel. Das Pärchen gab am Sonntag seine Stimme in der Les Corts-Schule neben dem Camp Nou Stadion des FC Barcelona ab, wo das Liga-Spiel gegen Las Palmas "aus Protest" auf die Polizeigewalt ohne Zuschauer stattfand.

In der Schule Escola Industrial kam die Polizei noch nicht vorbei. "Aber wir rechnen damit, dass sie dies später tun wird, um eventuell die Wahlurnen zu konfiszieren", meint Lara, eine 25-jährige Studentin. Fast 500 Schüler und Studenten sitzen auf dem Schulhof und jubeln denjenigen zu, die nach der Wahl wieder aus dem Gebäude kommen. Pedro Gomez, ein älterer Herr im Rollstuhl, bricht in Tränen aus. "Jahrzehnte musste ich auf diesen Moment warten. Endlich konnte ich abstimmen". Erst ist aber auch betrübt. "Was hier heute passiert, erinnert mich stark daran, wie damals Diktator Franco gegen uns Katalanen vorgegangen ist".

(APA)

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