Im Prozess um das Attentat auf Kim Jong-nam, einen nahen Verwandten des nordkoreanischen Führers, droht zwei weiblichen Angeklagten die Todesstrafe. Die Blutspur führt aber zu Diktator Kim Jong-un.
Tokio/Kuala Lumpur. In Malaysias Hauptstadt, Kuala Lumpur, begann am Montag ein Prozess, der alle Zutaten eines Politthrillers aufweist: Mord, Familienfehde, Täuschung und am Ende vermutlich gar ein skrupelloses Regime als Anstifter im Hintergrund. Der Tathergang ist kurz erzählt. Am 13. Februar bricht auf dem internationalen Airport ein Mann zusammen und verstirbt kurz darauf. Bei dem Toten handelt es sich um Kim Jong-nam, den im chinesischen Exil lebenden Halbbruder des nordkoreanischen Diktators, Kim Jong-un.
Die Ermittler finden auf Gewebeproben des Opfers Rückstände des toxischen Kampfstoffs VX. Das geruchlose Nervengift wirkt über Haut, Augen, Atemwege oder auch über Nahrung. Es führt sehr schnell zu Übelkeit, Lähmung der Atemmuskulatur und binnen weniger Minuten zum Tod. VX ist seit 1997 als Chemiewaffe international geächtet, für Private kaum erhältlich.
Die Videoüberwachung zeigt den 45-jährigen Kim Jong-nam in Begleitung zweier Frauen, von denen eine das Opfer anscheinend von hinten anfällt, ihm ein Tuch in das Gesicht drückt und sich danach rasch auf eine Toilette entfernt, vermutlich um das Gift von ihren Händen abzuwaschen. Nach ihrer Verhaftung werden bei der 25-jährigen Indonesierin Siti Aisyah noch Symptome einer VX-Vergiftung festgestellt. Bei einem Schuldspruch wegen Giftmords drohen ihr und der ebenfalls vor Gericht stehenden Vietnamesin Doan Thi Huong die Todesstrafe. Beide bekannten sich nicht schuldig.
Die Angeklagten könnten am Ende selbst Opfer sein – wenn sich nämlich herausstellte, dass die malaysischen Behörden mit ihrer ersten Mutmaßung recht behalten: Pjöngjangs Führer, Kim Jong-un, hat den Mord an seinem Halbbruder befohlen oder wenigstens geduldet. Die beiden als Prostituierte „moralisch nicht einwandfreien“, aber bis zur Tat aus Polizeisicht harmlosen Frauen sind sehr wahrscheinlich für den Giftmord missbraucht worden. Ihnen war eingeredet worden, dass sie gegen Bezahlung an lustigen TV-Clips mit versteckter Kamera teilnehmen.
Vieles spricht dafür, dass in den Anschlag Agenten des nordkoreanischen Geheimdiensts verwickelt sind. Vier verdächtige Männer haben sich unmittelbar nach dem Attentat illegal nach Nordkorea abgesetzt. Drei weitere verschanzten sich in der nordkoreanischen Botschaft in Kuala Lumpur und durften erst durch den Austausch gegen in Pjöngjang festgehaltene malaysische Geschäftsleute ausreisen. Die Drahtzieher konnten also das Land verlassen, die beiden Frauen stehen als Sündenböcke vor Gericht.
Verhinderung der Obduktion
Damit ist die Spur zu Diktator Kim Jong-un zwar juristisch erkaltet, aber noch lang nicht aus der Welt. Ungeklärt ist unter anderem, warum die Regierung in Pjöngjang über ihre Botschaft ständig versucht hat, die Obduktion des Opfers zu verhindern und die Leiche in ihre Hände zu bekommen.
Dieses intensive Interesse ist politisch nicht allein mit Blutsbanden der Kim-Familie zu erklären. Persönlich waren sich beide Brüder schon lang spinnefeind. Kim Jong-nam ist der älteste Sohn des vor fünf Jahren verstorbenen zweiten Herrschers der Kim-Dynastie. Er galt als designierter Kronprinz, fiel aber bei seinem Vater in Ungnade, nachdem er 2001 versucht hatte, mit gefälschten Papieren in Tokio einzureisen, um angeblich mit seiner Familie Disneyland zu besuchen. So wurde der jüngere Kim Jong-un, Sohn einer Filmdiva, zum Nachfolger bestimmt.
Es war auch nicht der erste Anschlag auf den Erstgeborenen des früheren Diktators Kim Jong-il. Laut Südkoreas Geheimdienst NIS soll Pjöngjang seit fünf Jahren versuchen, das „schwarze Schaf“ der Familie aus dem Weg zu räumen. Ein von Pjöngjang in Auftrag gegebenes Attentat scheiterte 2012.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2017)