Chemie-Nobelpreis: In Eiseskälte die Feinheiten des Lebens zeigen

Als erstes Protein war dieses Rhodopsin 1990 klar zu sehen.
Als erstes Protein war dieses Rhodopsin 1990 klar zu sehen. The Royal Swedish Academy of Sciences
  • Drucken

Die heurige Ehre geht an drei Forscher, die die Entwicklung eines Instruments vorangetrieben haben, ohne das die heutige Molekularbiologie nicht existieren könnte, die der Kryo-Elektronenmikroskopie.

Nicht Sensationen wollte Alfred Nobel mit seinen Preisen geehrt sehen, sondern die Leistungen, die „den größten Nutzen für die Menschheit“ bringen (und Sensationen erst ermöglichen). In diesem Sinn wurde am Mittwoch nicht der Topfavorit mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet – das gentechnische Wunderwerkzeug Crispr –, sondern etwas, mit dem man sichtbar machen kann, wie Crispr funktioniert, oder wie ein Virus im Detail aussieht.

Das lag lange im Dunkeln, man behalf sich seit den frühen 50er-Jahren mit Röntgenkristallographie, vor allem in Cambridge, dort fand man auf diesem Weg die Struktur der DNA. Die Methode funktionierte allerdings nur bei Biomolekülen, die wohl organisierte Kristalle bilden, und sie konnte nur Momentaufnahmen in Schwarz/Weiß liefern, ziemlich verwaschene. Zudem war sie gefährlich: Rosalind Franklin, die in Cambridge die Bilder der DNA lieferte, auf denen James Watson und Francis Crick die Doppelhelix erkannten, starb an Krebs.

Erst hieß sie „Übermikroskopie“

Später kam eine zweite Methode, ins Innerste zu blicken, hinzu, die der Magnetresonanz-Spektroskopie, sie hat den Nachteil, dass sie nur relative kleine Moleküle sichtbar macht. Richard Henderson, der Anfang der 70er-Jahre in der Hochburg der Röntgenkristallographie arbeitete, in Cambridge eben, wollte aber in große Proteine vordringen. Deshalb griff er auf eine Technik zurück, die 1931 von Ernst Ruska entwickelt worden war – und ihm 1986 den Nobelpreis einbrachte –, der nannte sie „Übermikroskopie“. Später wurde sie umgetauft nach den Wellen, mit denen sie arbeitet, denen der Elektronen. Die sind viel kürzer als die des Lichts, sie können viel feinere Details erhellen, bis hinab zu einzelnen Atomen. Allerdings sind Elektronen für biologisches Material gefährlich, man nutzte sie lange nur für totes Material.

Das war nicht das einzige Problem: Elektronenmikroskope arbeiten im Vakuum, dort halten Biomoleküle sich nicht lange, ihr Wasser verdunstet, sie brechen in sich zusammen. Henderson versuchte es doch, er hatte Glück, sein Objekt half: Das war ein Rhodopsin, mit dem Bakterien Licht wahrnehmen. Es hat die Besonderheit, dass es in eine Membran verpackt ist, die schützt, und mit einem schwachen Elektronenstrahl gelang Henderson 1975 das erste Bild, noch verwischt, 15 Jahre später hatte er ein scharfes.

Als erstes Protein war dieses Rhodopsin 1990 klar zu sehen.
Als erstes Protein war dieses Rhodopsin 1990 klar zu sehen. The Royal Swedish Academy of Sciences

Das schaffte Henderson, der alles vorantrieb, nicht im Alleingang, er bekam Hilfe aus Heidelberg und New York. In der dortigen Gesundheitsbehörde arbeitete der gebürtige Deutsche und gewordene US-Amerikaner – er hat beide Staatsbürgerschaften – Joachim Frank an mathematischen Verfahren, mit denen die 2-D-Bilder des Elektronenmikroskops in 3-D umgerechnet werden konnten, die Algorithmen hatte er 1981 fertig. Da saß der Dritte im Bunde der Geehrten, der Schweizer Jacques Dubochet, am European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg über einem zentralen Problem, dem des Austrocknens der Biomoleküle im Vakuum.

Hendersen hatte es beim Rhodopsin nicht nur mit dessen Membran gemildert, er hatte sie zudem mit einer Glukoselösung geschützt. Aber bei wasserlöslichen Biomolekülen geht das nicht. Man versuchte, sich mit Einfrieren zu helfen, aber nun zerstörten Eiskristalle die Biomoleküle. Deshalb unternahm Dubochet etwas, was viele für unmöglich hielten: Die Biomoleküle so rasch so tief zu kühlen, dass das Wasser auf einen Schlag gefriert, keine Kristalle in Biomolekülen bildet, sondern eine glasartige Substanz um sie herum, 1982 gelang ihm dieses „Vitrifizieren“ mit flüssigem Stickstoff bzw. Ethanol.

Damit lag alles für die Revolution bereit, in der nun, wie das Nobel-Komitee rühmt, „jede Ecke einer Zelle im atomaren Detail eingefangen werden kann und der Biochemie eine aufregende Zukunft blüht.“

Die Preisträger

Jacques Dubochet, 1942 in Aigle in der Schweiz geboren, bis zur Emeritierung 2007 Biologe an der Universität Lausanne.

Joachim Frank, geb. 1940 im deutschen Siegen, seit 1997 auch US-Staatsbürger, arbeitet seit 2001 an der Columbia University, New York.

Richard Henderson, geboren 1945 in Edinburgh, wo er Physik studierte, dann ging er zum Studium der Biologie nach Cambridge. Dort lehrt und forscht er, nach einem Zwischenspiel in Yale, auch heute.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Literatur

Einer, der gleich zwei Nobelpreise nicht erhielt: Sigmund Freud

Die Wettbüros haben ihre Favoriten für den Literaturnobelpreis parat, zur Mittagszeit wird der Preisträger genannt. Auch Kränkungen gehören zu diesem Preis.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.