Leitartikel

Causa Pierer: Na endlich! Ein Sündenbock für das politische Versagen

Rot-Schwarz hat jahrelang Zeit gehabt, ein transparentes Steuersystem zu schaffen. Dieses Versäumnis nun Unternehmern vorzuwerfen ist billig.

Die Nerven liegen neun Tage vor der Nationalratswahl blank, und es werden die letzten Register gezogen – auf die Tonlage wird dabei wenig Rücksicht genommen. SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer hat sich also den Steuerakt des KTM-Chefs, Stefan Pierer, beschafft. Die Frage, woher er diesen wohl haben kann, wird die Staatsanwaltschaft klären müssen. Irgendjemand wird da wohl das Steuergeheimnis gebrochen haben. Aber ein Maulwurf mehr oder weniger spielt in diesem Wahlkampf keine Rolle mehr. Klar scheint: Wer in diesem Land aus seiner politischen Gesinnung kein Hehl macht, seine finanzielle Unterstützung – in diesem Fall für Sebastian Kurz – transparent macht, hat mit Problemen zu rechnen.

Was wirft man Pierer wirklich vor? Dass er in den Jahren 2012 und 2013 nur knapp 3000 Euro Einkommensteuer bezahlt hat. Pierer dementiert das gar nicht. Er legt offen, dass es sich dabei nur um seine Einkünfte als Aufsichtsrat handelt. Seine wesentlich höhere Vorstandsgage hat er – sagen wir einmal – mithilfe einer steuerschonenden Konstruktion sehr niedrig versteuert. Niedrig bedeutet im Fall von Pierer noch immer Hunderttausende Euro. Das juckt den SPÖ-Politiker wenig, er pickt sich einzig und allein die Einkommensteuer heraus und kann sich der Empörung so mancher Kleinunternehmer sicher sein, die vom Fiskus regelrecht geschröpft werden. Oder vielleicht hätten sie nur gern den Namen von Pierers Steuerberater, der sich offenbar im rot-weiß-roten Fiskaldschungel bestens zurechtfindet.

Bevor Politiker also über Steuergerechtigkeit sprechen, sollten sie sich einmal Gedanken über die undurchsichtigen Steuergesetze machen. Steuergerechtigkeit erreicht man nämlich nicht, indem man Unternehmer an den Pranger stellt, sondern indem man transparente und klare Regeln schafft.

Davon sind wir in Österreich weit entfernt. Und niemand hat die rot-schwarze Regierung in den vergangenen Jahren daran gehindert, eine anständige Steuerreform zu schaffen, die nicht nur zu einer Entlastung der Steuerzahler führt, sondern vor allem auch zu einer Entlastung der Steuerberater. Wer wissen möchte, wie undurchschaubar unsere Steuergesetze sind, braucht nur einen Blick ins Steuerberaterverzeichnis zu werfen. Waren es in den 1950er-Jahren noch 1700, so sind es mittlerweile 7500. Mittlerweile zählen die Steuerberater selbst zu den schärfsten Kritikern unseres Steuersystems.

Es ist nicht zuletzt der frühere SPÖ-Finanzminister Hannes Androsch, der sich seit Jahren über das heimische Fiskal-Wirrwarr echauffiert. Zu Recht prangerte er etwa heuer bei einer Rede vor Steuerberatern an, dass allein das österreichische Einkommensteuergesetz nicht weniger als 558 Begünstigungen kennt.

Und natürlich braucht der Staat, um dieses Steuermonster im Zaum zu halten, einen riesigen Verwaltungsapparat. Mehr als 11.000 Menschen arbeiten in der Finanzverwaltung. Auch auf diesem Gebiet sind wir übrigens Europameister. Zum Vergleich: Die Schweiz kommt mit 9000 aus, obwohl dort die Kantone Steuerhoheit genießen, das System also viel komplexer ist.

Soll aber ja keiner behaupten, unsere Finanzbeamten seien nicht fleißig. Ganz im Gegenteil. Seit der Jahrtausendwende haben sie mehr als 400 Mal das Einkommensteuergesetz geändert, aktuell gibt es mehr als 300 sogenannte Übergangsbestimmungen. Und das alles ist Politikern wie Kai Jan Krainer nicht genug. Wiederholt forderte er im Parlament noch mehr Finanzbeamte.

Der Staat nimmt heuer dank der guten Konjunktur um 2,3 Milliarden Euro mehr ein. Dennoch kommt er mit dem Geld bei Weitem nicht aus und steuert auf mehr als fünf Milliarden Defizit zu. An der Steuermoral der Bürger liegt es ganz bestimmt nicht.

Aber wir haben schließlich Wahlkampf. Die „Zeit fokussierter Unintelligenz“ nannte sie einst Wiens Bürgermeister Häupl. Er irrte. Längst ist es die Zeit fokussierter Skrupellosigkeit. Möge sie rasch vorübergehen.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2017)

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