Es ist noch nicht aller Tage Abend: Siegt diesmal wirklich die ÖVP?

Gewissenserforschung vor dem 15. Oktober: Auch bei uns sind die Konservativen im Aufwind.

Wie viele Male habe ich gewählt, seit ich im wahlfähigen Alter war? Anfangs durfte ich mit 18 zu den Urnen gehen, ab 2007 ist dieses Alterslimit auf 16 gesenkt worden. Bis heute ist mir nicht klar, warum dieser Schnitt erfolgt ist. Vielleicht, um Bubengangs von der Straße zu bringen? Vielleicht aber auch, um jene Schulgegenstände zu lockern, die Kinder zu erhöhter Aufmerksamkeit in jenen Unterrichtsstunden zwingen, die sich vorher zu wenig Eifer erfreut hatten.

Am 15. Oktober, also nächsten Sonntag, wird es wieder so weit sein. Da werden schon die Halbwüchsigen, kaum dem Stimmbruch oder der Geschlechtsreife entkommen, wieder den Nationalrat wählen können, die gesetzgebende Körperschaft der Republik. Ich bin neugierig, wie viele Wähler beiderlei Geschlechts, von Jugendlichen bis zu den Hundertjährigen, von ihrem Recht Gebrauch machen werden, das sie zum Mitreden und Mitentscheiden nicht mehr wie früher verpflichtet, aber doch berechtigt.

Diese Mitentscheidungsmöglichkeit ist in den letzten Jahrzehnten immer weniger genutzt worden. Die Gesetzgebungsperiode ist gerade seit der Senkung des Wahlalters immer kürzer geworden, beim Nationalrat beträgt sie fast nie die volle Länge. Eine der kürzesten war die jetzige.

Ich erinnere mich noch deutlich an einen Merkpunkt meiner Gymnasialzeit, an den Sonntag, 25. November 1945. Ich war in der vierten Klasse des Akademischen Gymnasiums und durfte meine Mutter, nachdem mein Vater wenige Wochen vorher an Kriegsfolgen gestorben war, in das Amtshaus unweit unserer glücklicherweise unversehrt gebliebenen Wohnung in der Schönbrunner Straße begleiten. Meine Mutter weinte. Es war ihr erster Urnengang nach 1938.


Ich habe seither Dutzende von Wahlen absolviert, und es waren keinesfalls nur Nationalratswahlen dabei. Ich habe keine Gelegenheit ausgelassen, um das zu propagieren und postulieren, was mir als demokratische Pflicht eines österreichischen Staatsbürgers selbstverständlich erschien. Ich habe mich an jeder Wahl beteiligt, die mir notwendig erschien – und das waren alle.

Ich habe an den verschiedenen Gemeinderatswahlen in Wien teilgenommen, aber auch im niederösterreichischen Marktflecken Pernitz, wo wir ein Landhaus gebaut hatten. Das war in diesem Bundesland möglich, aber nicht in allen. Ich habe an Gewerkschaftswahlen und Arbeiterkammerwahlen teilgenommen und war einer der kaum 40 Prozent der Hochschüler und -schülerinnen, die bei Studentenwahlen ihre Stimme abgaben.

Es gab freilich das noch nicht, was man heute so geläufig als Fake News bezeichnet. Und die Wahlkämpfe waren keine Kämpfe, sondern Auseinandersetzungen. Schon gar nicht hat es das gegeben, was in den Wochen vor dem Oktoberwahltermin immer häufiger als Schlammschlacht bezeichnet wurde. Gleichzeitig hat sich die Zahl der im Nationalrat vertretenen Parteien vervielfacht.

Dazu kam auch noch die Tatsache, dass der „Standard“, eines der österreichischen Qualitätsblätter, immer mehr liberal mit anti-ÖVP verwechselt und noch röter wurde, als er bereits war. Es wird ihm, wie ich meine, nichts nützen. Wenn nicht alle Vorzeichen täuschen, bringt der 15. Oktober erstmals seit vielen Dezennien einen überzeugenden konservativen Sieg.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2017)

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