Mit der Obergrenze in Richtung Jamaika-Koalition

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Die Union will maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufnehmen. Eine Einigung, die erste echte Koalitionsgespräche mit FDP und Grünen ab nächster Woche ermöglicht.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat FDP und Grüne für Mittwoch nächster Woche zu getrennten Sondierungsgesprächen für eine sogenannte Jamaika-Koalition eingeladen. Am darauffolgenden Freitag sei dann ein gemeinsames Treffen von Union, FDP und Grünen geplant, sagte Merkel am Montag bei einer Pressekonferenz mit CSU-Chef Horst Seehofer in Berlin. Die deutsche Kanzlerin bezeichnete den am Wochenende mit der CSU gefundenen Kompromiss in der Flüchtlingspolitik als gute Grundlage für die Gespräche. 

Am 18. Oktober lädt Merkel FDP und Grüne zu ersten, getrennten Sondierungsgesprächen. Am folgenden Freitag (20. Oktober) sei dann ein gemeinsames Treffen von Union, FDP und Grünen geplant, hieß es.

Ob die Kompromisslösung der Union die Regierungsbildung mit FDP und Grünen aber einfacher machen könnte, blieb offen. Die Grünen zeigten sich nämlich skeptisch. Die Unionsparteien hatten sich am Sonntagabend auf das Ziel verständigt, maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen. Die Gesamtsumme solle aus ankommenden und ausreisenden Personen berechnet werden, heißt es in dem am Abend verabschiedeten Text. Das Wort "Obergrenze" taucht nicht auf - die hatte Merkel immer strikt abgelehnt.

CDU will Rückführungszentren bauen lassen

Neu ist die Forderung, dass es in Deutschland künftig Entscheidungs- und Rückführungszentren geben soll, in denen Asylbewerber bis zu einer Entscheidung über ihren Antrag bleiben sollen. Abgelehnte Asylbewerber sollen von dort in ihre Heimat zurückgeführt werden.

Nationale Grenzkontrollen sollen beibehalten werden, bis der EU-Außengrenzschutz funktioniert. Mit den Herkunfts- und Transitstaaten sollen nach dem Vorbild des EU-Türkei-Migrationsabkommen Abkommen geschlossen werden. Es werden EU-weite gemeinsame Asylverfahren an den Außengrenzen und Rückführungen bereits von dort in die Heimatländer unterstützt. Die Liste der sicheren Herkunftsländer soll auf die drei Maghrebstaaten Marokko, Algerien und Tunesien ausgeweitet werden.

Zudem wurde eine Klausel vereinbart, dass Bundesregierung und Bundestag eine neue Entscheidung treffen können, mit dem der Richtwert "nach unten oder oben" geändert werden kann.

Gesichtswahrender Kompromiss für Seehofer

"Sie sehen mich zufrieden, weil wir einen großen Schritt weitergekommen sind", sagte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) am späten Sonntagabend. "Guter Tag für die Union und guter Tag für Deutschland", sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nach Abschluss der Beratungen. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt äußerte sich "sehr zufrieden".

Mit der Zahl 200.000 hat CSU-Chef Seehofer zumindest einen gesichtswahrenden Kompromiss erreicht. Er hatte in den vergangenen Jahren gegen Merkels strikten Widerstand auf einer Flüchtlings-Obergrenze in dieser Größenordnung bestanden. Merkel und andere führende CDU-Politiker hingegen hatten eine formale Obergrenze für die humanitäre Aufnahme mit dem Argument zurückgewiesen, dass etwa Asylbewerber an der deutschen Grenze nicht zurückgewiesen werden könnten. Auch die Grünen sind gegen eine Obergrenze.

Grüne reagieren ablehnend

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte die nun erzielte Einigung: Diese atme "den Geist eines Formelkompromisses, über den beide wissen, dass er nicht länger halten muss, als bis zum ersten Gespräch mit FDP und Grünen", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Die "eintägige Krisensitzung" am Sonntag habe gezeigt, dass die Einheit der Schwesterparteien vor der Bundestagswahl nur eine Inszenierung gewesen sei. Immerhin hätten sie damit einen ersten Schritt getan, um verhandlungsfähig zu werden.

Grünen-Chefin Simone Peter betonte, dass der Kompromiss der Unionsparteien "noch lange nicht das Ergebnis der Jamaika-Sondierung" sei. Sie kritisierte auch die geplante Ausweitung der Sicheren Herkunftsländer, Ausreisezentren sowie Abkommen nach dem Vorbild jenes zwischen der Türkei und der EU. "An Entrechtungsprogrammen werden wir Grüne uns nicht beteiligen", sagte die Parteichefin.

Die SPD übt sich in der neuen Oppositionsrolle: "Diese Scheineinigung hat nur den einen Zweck, die Tür für Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP aufzustoßen", kritisierte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Sie lasse "deutlich mehr Fragen offen, als er Antworten gibt". Nach erster Prüfung sei die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Streitthema Obergrenze "eingeknickt". "Der Streit zwischen CDU und CSU ist nicht wirklich beigelegt, er schwelt weiter."

Die Union war bei der Wahl am 24. September zwar stärkste Kraft geworden, hatte aber mit 32,9 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 eingefahren. Merkel will mit FDP und Grünen verhandeln, weil die SPD in die Opposition gehen will.

(APA/dpa/AFP/Reuters)

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