Höchstrichterin: Nein zu Frauenquoten

(c) Clemens Fabry
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Konservativ und liberal seien kein Gegensatz, sagt VfGH-Vize Bierlein im Gespräch mit der "Presse". Der Homo-Pakt solle am Standesamt geschlossen werden können. Kritik gibt es an den U-Ausschüssen.

„Die Presse“: Sie sind Vizepräsidentin am männlich dominierten Verfassungsgerichtshof. Ist es für eine Frau in Österreich schwieriger, eine Spitzenposition zu erhalten?

Brigitte Bierlein: Ich bin zwar die erste Vizepräsidentin. Und die erste Frau als Vollmitglied am Verfassungsgerichtshof kam auch erst im Jahr 1994. Aber ich glaube, dass sich inzwischen einiges getan hat. Anfang der 70er-Jahre hat meine Tätigkeit in der Justiz begonnen. Damals waren Frauen – insbesondere im Strafrechtsbereich, in dem ich tätig war – exotische Wesen. Die Justiz hat damals Frauen noch am ehesten im Familienbereich toleriert. Heute ist das anders. Frauen sind an den Bezirksgerichten dominierend. Die Leitung der größten Staatsanwaltschaft Österreichs liegt in der Hand einer Frau. Und am Obersten Gerichtshof gibt es eine Präsidentin.

Was halten Sie generell von Frauenquoten?

Bierlein: Am Anfang waren Frauenquoten wichtig, um etwas in Gang zu bringen. Quoten zeigen aber nur das Problem auf, sie sind nicht die Lösung. Es scheint mir nicht erstrebenswert, nur wegen der Quote eine Frau vorzuziehen.

In Schweden müssen die Gehälter in Betrieben offengelegt werden, um eine gleichmäßige Einkommensverteilung zwischen Männern und Frauen zu erreichen. Wie beurteilen Sie diese Idee?

Bierlein: Im öffentlichen Dienst ist die Bezahlung gleich. Wenn es im privaten Bereich unterschiedlichen Lohn für dieselbe Arbeit gibt, dann ist das abzulehnen. Ob eine Offenlegung der Gehälter aber der richtige Zugang ist, möchte ich nicht beurteilen.

Sie gelten als konservative Richterin. Haben Sie dieses Image zu Recht?

Bierlein: Ich weiß nicht, ob konservativ und liberal unbedingt ein Gegensatz sein müssen. Aus meiner Sicht wären andere Gegensatzpaare aktueller: etwa Egoismus und Altruismus oder verantwortungsvolles Handeln anstelle einer Dominanz von Eigennutz. Konservatismus sehe ich eher als Gegenströmung zu einer Beliebigkeit und zu Populismus, wie man ihn heute oft in der Politik findet. Wenn ich von anderen als konservativ gesehen werde, betrachte ich das als Vertrauen in meine Linie. Und der liberale Mensch heutzutage ist jemand, der sich gegenüber gesellschaftspolitischen Entwicklungen offen gibt.

Was halten Sie etwa von der eingetragenen Partnerschaft für Homosexuelle, die ab 1. Jänner kommt?

Bierlein: Das ist ein Thema, bei dem ich sehr offen bin. Die Diskussion darüber hat mir fast schon ein bisschen zu lange gedauert. Ich meine, dass die Zeit für die legislative Umsetzung reif ist. Und die Diskussion, ob der Partnerschaftsvertrag am Standesamt oder auf der Bezirkshauptmannschaft geschlossen werden soll, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar.

Sie wären also dafür, dass der Homosexuellen-Pakt am Standesamt geschlossen wird?

Bierlein: Für mich persönlich wäre das kein Problem. Aber es ist offenbar ein Problem für manche gewesen.


Sie haben über die Begriffe konservativ und liberal philosophiert. Können Sie bei den österreichischen Parteien eigentlich noch ideologische Unterschiede erkennen?

Bierlein: Grundsätzlich sollten die Parteien schon ihre Linie haben. Sonst braucht man keine verschiedenen Parteien. Sie sollten ein Programm haben, das sie unterscheidet. Die Beliebigkeit und der Populismus in der jüngsten Zeit gefallen mir nicht.

Sie sind sehr kunstinteressiert. Vermissen Sie etwas in der österreichischen Kunstszene? Werden Talente hierzulande genügend gefördert?

Bierlein: Ich halte die Kunstszene in Österreich für sehr herzeigbar. Talente werden wahrscheinlich nicht genug gefördert. Ich glaube jedenfalls, dass sowohl in die Kunst als auch in die Bildung investiert werden sollte.

Sie sprechen das Thema Bildung an: Verstehen Sie die Studentenproteste und die Besetzung des Audimax?

Bierlein: Ja und nein. Ich bin selbst in der Generation der 68er-Studenten gewesen. Mir ist damals aber wichtig gewesen, das Jusstudium rasch zu absolvieren. Auch das Studium selbst habe ich eher aus pragmatischen Gründen gewählt. Ich verstehe die jetzigen Proteste, weil der Uni-Betrieb nicht optimal läuft. Aber andererseits sind wir insgesamt in einer wirtschaftlich schwierigen Lage.

Was gäbe es im Bildungssystem sonst noch zu reformieren?

Bierlein: Es sollte möglich sein, dass Kinder eine längere Zeit am Tag in der Schule verbringen können. Das würde die Mütter entlasten. Aber das braucht natürlich auch ein Mehr an Lehrern und kein Weniger. Diesen Punkt halte ich für ganz wichtig.

Sonst noch Änderungswünsche an die Politik?

Bierlein: Ich möchte die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ansprechen. U-Ausschüsse halte ich für demokratiepolitisch sehr wichtig. Sie verlangen aber ein Augenmaß von den Verantwortlichen. Die letzten U-Ausschüsse haben viele Ressourcen gekostet und sind im Sand verlaufen. Das scheint mir rechtsstaatlich nicht wünschenswert zu sein. U-Ausschüsse sollten ein Ergebnis bringen.

Ein klares Ergebnis hat die Abstimmung der Schweizer über ein Minarettverbot gebracht. Wie beurteilen Sie dieses Abstimmungsergebnis?

Bierlein: Ich kann nur sagen, dass Österreich die Europäische Menschenrechtskonvention in den Verfassungsrang gehoben hat. Das elementare Grundrecht der Religionsfreiheit ist also geschützt.

Wäre ein Minarettverbot in Österreich also rechtlich unmöglich?

Bierlein: Wenn es die Religionsfreiheit beeinträchtigt, ja. Aber es gibt auch Bauordnungen, die Begrenzungen vorsehen können, etwa, dass nur bis zu einer gewissen Höhe gebaut werden darf. Diese Vorschriften müssten dann aber ebenso für Kirchtürme oder Fabriken gelten. Es dürften keine rechtlichen Maßnahmen sein, die spezifisch die Religionsfreiheit verhindern.


Verstehen Sie die Sorge der Bevölkerung vor dem Islam?

Bierlein: Die Sorge der Bevölkerung ist nicht die vor dem Islam, sondern vor fundamentalistischen und extremistischen Bewegungen. Der Islam ist eine der ältesten Religionsgemeinschaften in Österreich. Seit 1912 ist der Islam anerkannt.

Sie sind eine der ranghöchsten Juristinnen im Lande. Dabei wollten Sie ursprünglich Kunst studieren. Würden Sie einem jungen Menschen jetzt eher zu einem Jus- oder zu einem Kunststudium raten?

Bierlein: Das kommt auf das Talent an. Ich wollte ursprünglich an die Universität für Angewandte Kunst gehen. Ich bin auch schon mit einer Zeichenmappe dort gewesen. Ich habe aber dann die anderen gesehen, die auch dort studieren wollten. Im Vergleich zu ihren Zeichnungen habe ich meine Zeichnungen als abfallend betrachtet, bin wieder gegangen und habe Jus studiert. Und ich habe auch gewusst, dass es viele Künstler gibt, die nicht wissen, wie sie im nächsten Monat die Miete zahlen. Das war mit ein Grund dafür, dass ich auf ein pragmatisches Studium umgeschwenkt bin.

Ist die Juristerei eigentlich auch eine Kunst?

Bierlein: Sie ist sicher keine Kunst, die mit der bildnerischen Kunst vergleichbar ist. Aber auch die Juristerei ist die Kunst des Machbaren. Man muss die Balance zwischen verschiedenen Interessenlagen finden.

Bisher erschienen: Eva Dichand (7.12.), Eser Akbaba (21.12.), Erich Leitenberger (24.12.).

ZUR PERSON

Brigitte Bierlein (60) ist seit 2003 Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs. Ihre Karriere startete sie 1975 als Richterin in Wien, zwei Jahre später erfolgte der Wechsel zur Staatsanwaltschaft. Ab 1986 arbeitete Bierlein bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien, 1990 wurde die Kunstliebhaberin erste Generalanwältin am Obersten Gerichtshof. Im Jahr 2003 war Bierlein sogar kurz als Justizministerin der schwarz-blauen Regierung im Gespräch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2009)

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