Trauerdrama: Eine Transfrau im Gegenwind

Die chilenische Sängerin Daniela Vega spielt Marina Vidal, die von der Familie ihres verstorbenen Partners angefeindet und ausgegrenzt wird.
Die chilenische Sängerin Daniela Vega spielt Marina Vidal, die von der Familie ihres verstorbenen Partners angefeindet und ausgegrenzt wird.(c) Polyfilm
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Im chilenischen Drama „Eine fantastische Frau“ kämpft eine Transgender-Frau nach dem Tod ihres Partners gegen Erniedrigungen und für ihr Recht auf Trauer. Das ist vor allem Betroffenheitskino – aber glaubwürdiges.

Marina kämpft gegen den Sturm an. Sie geht auf dem Gehsteig, lehnt sich gegen den Wind, doch der lässt sie keinen weiteren Schritt machen und weht ihr nur Laub und Zeitungsblätter entgegen. Es ist ein einprägsames Bild – und eines, das sinnbildlich steht für die Protagonistin des Films „Eine fantastische Frau“, einer internationalen Koproduktion (auch Deutschland war etwa mit Maren Ade als Produzentin an Bord) des chilenischen Regisseurs Sebastián Lelio. Denn was Marina – eindringlich gespielt von der chilenischen Sängerin Daniela Vega, die hier ihr Schauspieldebüt gibt – eigentlich umzublasen droht, sind schäbigste Anfeindungen, Übergriffe, behördliche Entwürdigung und andere himmelschreiende Ungerechtigkeiten – wenn Marina doch eigentlich nur in Ruhe trauern will. Aber als Transgender-Frau, die als Mann geboren wurde, wird ihr dieses Recht nicht zugestanden.

„Eine fantastische Frau“ fängt mit einer Alltäglichkeit an, die die folgende Tragik spüren lässt: Marina, eine Kellnerin, die als Sängerin durchstarten will, und ihr gut zwanzig Jahre älterer, gut situierter Partner, Orlando (Francisco Reyes), sitzen in einem Restaurant, essen Geburtstagstorte und machen Reisepläne. Später, mitten in der Nacht, wacht er mit Schmerzen auf. Auf dem Weg ins Krankenhaus stürzt er die Treppe hinab. Bald darauf ist er tot. Ein Aneurysma, sagen die Ärzte. In den Augen von Orlandos Familie, die Marina als Perversion betrachtet, soll ihre Verbindung zum Toten nun zu Ende sein. „Das ist etwas heikel“, sagt Orlandos Bruder (Luis Gnecco, bekannt aus „Neruda“ von Pablo Larraín, der hier auch als Produzent auftritt), vage – und drückt damit noch am höflichsten aus, dass Marina unerwünscht ist.

Fortan lässt der Film, der im urbanen Santiago spielt, Vorurteile und Gemeinheiten verschiedenster Intensitäten, von subtil bis unverhohlen, auf Marina niederprasseln. Zur Totenmesse will sie kommen? Sie soll nicht daran denken, sagt Orlandos Exfrau schrill – da werden Kinder sein! Eine Polizistin mit einem Masterabschluss, spezialisiert auf Sexualverbrechen, fragt, ob Marina von Orlando für Liebesdienste bezahlt wurde – und ordnet eine ärztliche Untersuchung der Hinterbliebenen an, das Protokoll verlange das. „Bist du eigentlich operiert?“, will der Sohn des Verstorbenen wissen, der ihr später den Hund stehlen wird. Marina bleibt kühl. „So etwas fragt man nicht.“ Und der Film beantwortet es auch nicht – wie er überhaupt sein Publikum zu Voyeuren macht, die dann aber doch nix zu sehen bekommen. Ergründet werden soll hier nämlich der Schmerz seiner Protagonistin, nicht ihre Sexualität. Was die Menschen, die ihre Anfeindungen einzig darauf begründen, noch viel ignoranter erscheinen lässt.

Einsamkeit und passiver Widerstand

Frauen am Rande des Gesellschaft interessieren Regisseur Lelio schon länger: In seinem letzten Werk, „Gloria“, ging es um eine geschiedene ältere Frau, die auf Singlepartys Trost gegen die Einsamkeit sucht. Auch hier ist die Einsamkeit ein tragendes, die ganze Ästhetik des Films beherrschendes Motiv. Natürlich ist „Eine fantastische Frau“ zu guten Teilen Betroffenheitskino, aber glaubwürdiges: In vielen Momenten will man Marina drücken und sich mit ihr gemeinsam der Ungerechtigkeit entgegenstellen – und man würde ihr wohl auch so manchen Racheakt verzeihen. Ein anderer Film hätte sie vielleicht zu einer Heldin gemacht, die gegen ihre Feinde aufsteht und ihre Rechte selbstbewusst einfordert.

Dass die trauernde Marina den Erniedrigungen nicht viel mehr als passiven Widerstand entgegenzusetzen hat, ist bisweilen frustrierend – aber wohl auch die wahrhaftigere Option. Immer wieder erblickt Marina Orlandos Geist in einer Menschenmenge oder flüchtet in Tagträume – etwa eine rauschhaft choreografierte glitzernde Tanzszene –, oft sieht man lang ihr Gesicht, in das Daniela Vega die Traurigkeit, Wut, vor allem aber die Müdigkeit einer Frau legt, für die Resilienz die einzige Überlebensstrategie ist: Sie kann den Sturm allein vielleicht nicht durchschreiten. Aber sie kann sich dagegenstemmen, ohne umzufallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2017)

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