Gastkommentar

Wo Donald Trump den Nerv der Zeit trifft

Trump spricht das Unaussprechliche aus: Man kann nicht die Produktion auslagern und dafür Arbeitslosigkeit hinnehmen.

Auch die Deutschen haben jetzt also, was wir schon längst haben: eine rechtspopulistische drittgrößte Partei. Wenn die anderen so weitermachen wie bisher, kommt Deutschland in vier Jahren vielleicht auch dort an, wo zwei ehemalige Großparteien nur noch die Wahl haben, gemeinsam weiterzuwursteln oder allein die Krot einer Koalition mit den rechten Populisten zu schlucken und zu bilden.

Es wäre schlecht für die Demokratie, würde jetzt der Schluss gezogen, dass es ohne noch größere Zugeständnisse an den Populismus nicht geht. Ausgerechnet Donald Trump hat der europäischen Politik einen wertvollen Hinweis geliefert. Genau dort, wo die Entscheidung gefallen ist, haben die US-Wähler nämlich den gewählt, der versprach, die Arbeit ins Land zurückzuholen.

Dort, wo die Arbeiter einst am besten verdienten und nun die Fabrikshallen verrotten – im sogenannten Rustbelt – holte Trump sich die entscheidenden Stimmen für seinen knappen Wahlsieg. Ob seiner ungeschlachten Art ist völlig untergegangen, welch mächtigen Bann er brach, indem er die Globalisierungskritik faktisch ins Zentrum der Politik rückte. Hätte Hillary Clinton von den Arbeitsplätzen geredet statt von Gemeinsamkeit und von ihrer außenpolitischen Erfahrung, sähe Amerika heute anders aus.

„So kann es nicht weitergehen“

In Deutschland verlor die Union eine Million Wähler an die AfD, doch die Zahl der Nichtwähler, die die AfD an die Urnen zurücklocken konnte, war noch größer. Als einzige Partei wurde sie mehrheitlich nicht aus Sympathie, sondern aus Unzufriedenheit mit den anderen Parteien gewählt.

Sicher hat die Zuwanderung eine wichtige Rolle gespielt, sie aber für die Hauptursache des Desasters zu halten, wäre zu kurz gegriffen: Die Mehrzahl derer, denen ob der Zuwanderung angst und bange wird und die die AfD wählten, waren Menschen, die auf der Strecke bleiben und die das Gefühl haben, dass die Politik über sie hinwegtrampelt.

Die Menge jener, die sich – wo immer sie ins Gespräch kommen – schnell darüber einig sind, dass alles „irgendwie in die falsche Richtung läuft“ und dass unsere Gesellschaft in eine Fehlentwicklung geraten sei, reicht allerdings über die Schichten der Verlierer weit hinaus. Es ist für Millionen wache, interessierte Menschen längst zum festen Bestandteil ihres Lebensgefühls geworden, dass es so nicht weitergehen kann.

Könnten sonst die Zitronen und das Obst im Supermarkt aus Argentinien oder Peru kommen, während das Klima am Kippen ist? Auch wenn die Transportkosten in den Preisen kaum eine Rolle spielen, produzieren die Schiffsmaschinen und Kühlaggregate der Containerfrachter doch Massen von Kohlendioxid, und der entfesselte Warentransport über Kontinente und Meere trägt erheblich zur Aufheizung des Klimas bei.

Braucht man einen Computer, um sich auszurechnen, wohin es führen wird, wenn immer „intelligentere“ Maschinen immer kompliziertere Tätigkeiten übernehmen und die verbleibende Arbeit auch noch abwandert und auf immer mehr Produkten „made in China“, oder wo immer, steht? Wenn ausgerechnet die einfachen Jobs völlig verschwinden, also die Jobs für Zuwanderer, für Menschen mit geringen oder durch genial ausgetüftelte Maschinen obsolet gewordenen Qualifikationen?

Muss nicht an einer Weltordnung, die solche Fehlentwicklungen geradezu erzwingt, irgend etwas nicht stimmen? Den Ökonomen darf man mit solchen Ideen nicht kommen. Das ändert aber nichts daran, dass solche Ansichten tief in die Bildungsschichten und die Schichten jener hineinreichen, die nie auf die Idee kämen, AfD oder FPÖ zu wählen.

Eine völlig neue Agenda

Trump hat das für Politiker offenbar Unaussprechliche, das weder in den USA noch in Europa ein Thema war, bis er es in seinen Mund nahm, aussprechbar gemacht: dass es auf Dauer unmöglich ist, die Produktion auszulagern und dafür Arbeitslosigkeit im eigenen Land hinzunehmen.
Er hat damit einen Nerv getroffen und mit diesem Tabubruch eine neue Situation geschaffen. Was aber bisher übersehen wird, weil sich die anständig denkende Welt einig ist, dass die Amerikaner falsch gewählt haben. Haben sie ja auch. Doch im Rustbelt haben sie entsprechend ihren vitalen Interessen gewählt. Ob Trump seine Versprechungen halten kann, und ob er das überhaupt will, tut dabei nichts zur Sache.

Damit ist das Thema auf dem Tisch. Zum ersten Mal seit dem Auftreten der Grünen haben wir wieder eine völlig neue Agenda. Die Frage ist nur, wer dieses Feld als Erster besetzt und sich in der Rolle dessen präsentiert, der ausspricht, was Millionen denken, worüber aber die anderen schweigen. Der den Stillstand der Politik überwindet und zur Sprache bringt, was Millionen auf den Nägeln brennt.

Die nationalistische Tour

Wenn die demokratischen Parteien diese Chance verpassen, überlassen sie ein weiteres Mal den Rechts-außen-Parteien die Themenführerschaft. Die nationalistische Tour, auf die sie diese übernehmen würden, hat ebenfalls Trump mit dem Spruch „America first!“ bereits vorexerziert.

Die Jobvernichtung durch Maschinenarbeit und die Abwanderung der verbleibenden Arbeit werden von den Parteien in ihrer immer verwechselbarer werdenden Wahlwerbung ausgeblendet, während das Desinteresse an einer als beliebig und steril empfundenen Politik wächst. Ob neue Gesichter statt neuer Inhalte der Politikverdrossenheit und der Drift der Protestwähler nach rechts abhelfen können, ist mehr als fraglich.

Europa kann die Zuwanderung eindämmen, stoppen kann sie sie nicht. Um die Schengen-Außengrenzen wirklich dicht zu machen, müsste man MGs an den Küsten aufstellen. Gelingt es nicht, diejenigen, die schon da sind, und die, die noch kommen, zu integrieren und ihnen Arbeit und eine Zukunft zu bieten, würde sich Europa einen sozialen und politischen Zeitzünder einhandeln, eine mehrheitlich islamische Unterschicht ohne Hoffnung auf Aufstieg und Wohlstand, in der die muslimischen Hassprediger ihre Opfer fänden.

Bruch mit geheiligten Dogmen

Auf der anderen Seite eine nach der Macht greifende Rechte mit ihren eigenen national-faschistoiden Hasspredigern. Wenn es eine Möglichkeit gibt, dem religiösen Fanatismus und Ausbrüchen von kollektivem Wahnsinn aller Art vorzubeugen, bietet materieller Wohlstand noch immer die besten Voraussetzungen.

Eine Wirtschaftswissenschaft und eine Politik, die sich diesen Sachverhalten nicht stellen, betreiben Realitätsverweigerung. Wir werden nicht umhin können, uns etwas dagegen einfallen zu lassen. Die EU wird sich ändern müssen, aber nicht unbedingt so, wie es sich Emmanuel Macron vorstellt. Wie auch immer: Der Bruch geheiligter Dogmen ist jedenfalls besser als die Alternative, Europas Pluralismus, seine Meinungs- und sonstigen Freiheiten sehenden Auges den Bach runtergehen zu lassen.

DER AUTOR

Hellmut Butterweck (geboren 1927 in Wien) war Zeitgeschichte-Redakteur und Theaterkritiker einer Wochenzeitung und schrieb Theaterstücke, Hörspiele und Bücher über wirtschaftliche und zeithistorische Themen. Für seine Dokumentation der österreichischen Justiz gegen NS-Straftäter erhielt er 2016 den Preis der Stadt Wien für Publizistik.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2017)

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