Wachsoldat erschossen: Vorsatz oder Unfall?

Die Spurensicherung in der Nacht auf Dienstag am Tatort: Heeres-Amtsgebäude in der Leopoldstadt.
Die Spurensicherung in der Nacht auf Dienstag am Tatort: Heeres-Amtsgebäude in der Leopoldstadt.(c) APA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)
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Ein Rekrut wurde im Wachdienst getötet. Hat der Schütze vorsätzlich abgedrückt, oder war es eine Verkettung unglücklicher Umstände?

Dienstagnachmittag wurde der Grundwehrdiener, der Montagabend in Wien einen Kameraden durch einen Kopfschuss getötet hatte, stundenlang einvernommen. Trotzdem blieb die Frage, warum der Schuss gefallen ist, zuletzt offen. Sehr wohl aber lassen sich der Vorfall selbst sowie nähere Umstände analysieren. Hier die Antworten.

1. Wie war der Tathergang, welche Personen waren beteiligt?

Der Schuss fiel Montagabend um 19.20 Uhr in einem Wachcontainer des österreichischen Bundesheers in der Vorgartenstraße 225 in Wien Leopoldstadt. Das zu sichernde Objekt: ein an dieser Adresse liegendes Amtsgebäude des Verteidigungsministeriums, das Amt für Rüstung und Wehrtechnik. Drei junge Wachsoldaten, alle drei Grundwehrdiener, bildeten eine Wachdienst-Crew.

Ein 22-jähriger, in Salzburg geborener, im Mai zum sechsmonatigen Grundwehrdienst eingerückter Rekrut schoss einem 20-jährigen, in Wien geborenen, im Juli eingerückten Kameraden (beide haben laut Bundesheer Migrationshintergrund) in den Kopf. Und zwar mit der Bundesheer-Standardwaffe, dem Sturmgewehr (StG) 77. Das Opfer lag bei Schussabgabe auf einer Liege, möglicherweise schlief der junge Mann. Jedenfalls spielte sich die Tat im Ruheraum ab. Der dritte junge Mann, der Wachkommandant, war im Nebenraum, als der Schuss fiel.

2. Wie gingen die Behörden zuletzt vor, welche Ermittlungsschritte setzten sie?

Die Befragung des Schützen dauerte eben am Dienstag noch an. Ergebnisse wurden vorerst nicht bekannt gegeben. So viel ist klar: Der Rekrut wird von Ausbildnern als sehr guter Soldat beschrieben. Von einem Streit mit dem späteren Opfer ist zuletzt nichts bekannt geworden. Der Schütze machte keinerlei Anstalten zu fliehen. Der Wachkommandant wiederum sah nur, wie der 22-Jährige den Ruheraum betrat und hörte dann den Schuss, der Zeuge kann also die Tat selbst nicht beschreiben. Die Ermittlungen führt operativ die Wiener Polizei (nicht die Militärstreife).

3. Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen, wie reagiert das Bundesheer?

Unmittelbare Konsequenzen für den Wachdienst gibt es keine. Dessen Regeln haben sich laut dem Sprecher des Verteidigungsministeriums, Michael Bauer, als sinnvoll erwiesen. Alle militärischen Einrichtungen Österreichs werden bewacht, sowohl Kasernen als auch Verwaltungseinheiten. Ein 24-Stunden-Wachdienst wird von drei Personen übernommen. Einer übt den Wachdienst tatsächlich aus, einer ist in Bereitschaft, und einer schläft.

Es ist vorgeschrieben, dass das Magazin an der Waffe angesteckt ist. Die „halb geladene“ Waffe darf nicht grundlos geladen werden. Selbst wenn sie geladen ist, muss sie noch entsichert werden, danach muss freilich der Abzug betätigt werden, um einen Schuss abzugeben. Dass sich einfach „ein Schuss löst“, ist (abgesehen von einem unwahrscheinlichen technischen Defekt) unmöglich. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil sprach den Hinterbliebenen sein Mitgefühl aus. Er sagte: Für die Schussabgabe mit einem StG 77 sei „viel Zutun“ nötig.

4. Welche Folgen hat die Schussabgabe für den Schützen?

Sollte es sich um eine vorsätzliche Schussabgabe gehandelt haben, droht dem Schützen eine Mordverurteilung. Er hätte mit einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe von zehn bis 20 Jahren oder mit lebenslanger Haft zu rechnen. War es ein Versehen – vielleicht hat der Rekrut vorher achtlos mit der Waffe „herumgespielt“ –, droht eine Strafe wegen fahrlässiger Tötung. Bis zu ein Jahr Haft oder eine Geldstrafe sieht der Gesetzgeber für dieses Grunddelikt vor. Nimmt man grobe Fahrlässigkeit an, drohen bis zu drei Jahre Gefängnis.

5. Was ergibt ein Blick zurück, gab es bereits vergleichbare Vorfälle?

Ja. Hier ein kleiner Auszug: Im Mai 1987 fiel in der Birago-Kaserne in Melk bei der Wachablöse ein Schuss aus dem Sturmgewehr eines 21-jährigen Wehrmanns. Ein 19-jähriger Kamerad wurde tödlich am Kopf getroffen. Der 21-Jährige hatte entgegen der Vorschrift das Gewehr nicht entladen, ehe er das Wachlokal betrat. Im September 1997 feuerte in der Spratzerner Kopal-Kaserne bei St. Pölten ein betrunkener Unteroffizier mit seiner Glock-Pistole auf einen Korporal. Dieser überlebte, weil die Schnalle des Feldgurts das Projektil ablenkte. Der Unteroffizier dachte, die Waffe sei nicht geladen.

Im Mai 2009 wurde ein 25-jähriger niederösterreichischer Soldat im Kosovo von einem Kameraden durch einen Schuss in die linke Schulter verletzt – die Glock-80-Pistole soll unabsichtlich betätigt worden sein. In der Innsbrucker Conrad-Kaserne fiel im Jänner 2015 beim Entladen der Waffe eines 19-Jährigen unabsichtlich ein Schuss, ein Kamerad wurde am Oberschenkel getroffen. August 2017: Aus der Dienstwaffe eines in Afghanistan stationierten Bundesheer-Majors fiel ein Schuss. Ein US-Armeeangehöriger wurde dabei am Knie getroffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2017)

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