Architekt Prix: „Wien, eine fürchterlich bequeme Stadt“

(c) Clemens Fabry
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Der Stararchitekt und Kopf von Coop Himmelb(l)au, Wolf D. Prix, über sein Problem mit Moscheen, die „Sprüche“ von Heinz-Christian Strache, notwendige Studentenproteste und über die Macht von Architekten.

Wolf D. Prix: Zeigen Sie her Ihre Fragen (liest): „Coop Himmelb(l)au zählt zu den führenden Architekturbüros der Welt. Sie bauen unter anderem in den USA, in China, Südkorea, Frankreich und Deutschland – in Österreich aber kaum bis gar nicht. Gibt es einen Grund dafür?“ Das ist eine gute Frage. Können Sie sie mir beantworten?


„Die Presse“: Ich weiß es nicht – vielleicht, weil der Prophet im eigenen Land nichts zählt?

Prix: Ja, so ungefähr könnte man es auch sagen. Aber ich glaube, es hängt mit dem Ziel der Mittelmäßigkeit zusammen.

Das Ziel der Mittelmäßigkeit?

Prix: Die Stadt Wien und ihre Bürger sind intellektuellenfeindlich. Denn Intellektuelle sind unberechenbar, flexibel und kreativ – alles Eigenschaften, die einer saturierten Mehrheit sehr, sehr zuwider sind. Oder anders gesagt: Wien ist eine herrliche Stadt zum Leben, aber es ist sehr schwer, hier zu arbeiten. „Nur keine Wellen“ – das ist das Paradigma, mit dem man in Wien alle Probleme zu lösen versucht.

Haben Sie eine Erklärung dafür? Ist das ein Ausdruck der viel zitierten österreichischen Seele?

Prix: Es ist eine Mentalitätssache. Wie anders erklären Sie, dass Klimt und Schiele in Wien nach wie vor als absolute Spitzenkünstler gesehen werden? Ich meine: Sie sind fantastische Zeichner und Darsteller der unterdrückten erotischen Kultur gewesen. Aber in derselben Zeit, in der die beiden nackte Damen gezeichnet haben, haben der Kandinsky und der Klee die ersten abstrakten Bilder gemalt. Und das sind wesentlich einflussreichere Gedanken gewesen, als Klimt und Schiele je abgebildet haben.

Demnach ist Wien in gewisser Weise also rückständig.

Prix: Rückständig würde ich nicht sagen. Aber Wien ist eine fürchterlich bequeme Stadt.

Inwieweit manifestiert sich das in der politischen Führung?

Prix: Gegen die Mehrheit der Wiener ist schlecht regieren: Wenn du nicht todessehnsüchtig bist, musst du dich dieser Bequemlichkeit anpassen. Da verstehe ich die Politiker zum Teil.

Wen meinen Sie?

Prix: Ich habe neulich erst Werner Faymann und Michael Häupl reden gehört. Frei, ohne Manuskript; über Österreich der eine, über Wien der andere. Fantastische Reden! Da sind Ansprüche zum Vorschein gekommen, die man sonst nicht hört. Darüber wird auch nicht berichtet, weil es unter Umständen negative Auswirkungen haben könnte, wenn ein Politiker einmal intellektuelle Anforderungen stellt. Deshalb sprechen sie so nur zu einem gewissen Publikum.

Ist es eine grundlose Hoffnung zu glauben, dass sich nach der Wien-Wahl 2010 etwas ändern wird?

Prix: Das denke ich schon. Es wird immer wieder Projekte geben, die so ausschauen wie die Erweiterung des Praters: eine Bankrotterklärung des österreichischen Geschmacks.

Ist Wien städtebaulich zu retten?

Prix: Ja, schon. Wenn man in der Stadtplanung neue Methoden anwendet; wenn man agieren und nicht nur reagieren würde, dann würde Wien nicht Gefahr laufen, von Bratislava überholt zu werden.

Was schlagen Sie vor?

Prix: Ein positives Beispiel für mich ist die neue Wirtschaftsuniversität. Da gibt es einen Rektor, der gesagt hat: „Ich möchte eine internationale Uni haben, daher brauche ich auch ein internationales Architektenkonsortium.“ Und das ist auch so geschehen. Dass die neue WU im zweiten Bezirk gebaut wird, ist hervorragend, weil Wien dann wirklich an die Donau rutscht. Die Infrastrukturfolgen werden fantastisch sein. Das macht eine Stadt international interessant, weil sie Weltoffenheit nach außen trägt.

Ist Ihnen Wien zu provinziell?

Prix: Die Weltoffenheit wird durch verschiedene politische Geschichten sehr infrage gestellt. Wenn ich die Sprüche des Herrn Strache lesen und hören muss, dann kann ich nur sagen: Wenn das wirklich 30Prozent werden bei der Wien-Wahl nächstes Jahr, dann würde das meine Theorie der Mittelmäßigkeit noch unterbieten.


Die Schweizer haben sich vor einigen Wochen für ein Minarettverbot ausgesprochen. Wie steht der Stararchitekt zu Moscheen?

Prix: Ich habe ein Problem mit den heutigen Moscheen: Sie sind historisierende Gebäude, die die Moscheen des 16.Jahrhunderts kopieren. Ich kenne nur einen Entwurf, der eine moderne Moschee formuliert, nämlich von meiner Kollegin Zaha Hadid. Ich hätte nichts dagegen, wenn dieser Entwurf in Wien gebaut werden würde.

Wie bewerten Sie dieses Schweizer Votum politisch?

Prix: Ich denke, dass der Weg der Integration ein Verhandlungsweg ist, der lange dauern wird. Man müsste alle streitenden Parteien an einen Tisch bringen. Aber man darf Verdächtigungen nicht als Tatsachen darstellen, wie es der Strache tut. Denn das ist tödlich.


Sind Sie mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden?

Prix: Die letzte Koalition hat gestritten, und die Medien haben auf sie eingeschlagen. Jetzt werden die Politiker verbal geprügelt, weil sie nicht streiten. Also, wie man es macht, ist es falsch. Womit ich nicht zufrieden bin, ist diese Nichtprofilierung. Aber das ist offenbar ein österreichischer Weg.


Was meinen Sie damit?

Prix: Dieses nicht profilierte Auftreten; dass keine neuen Forderungen gestellt werden – aus Angst, dass das als Intellektualismus ausgelegt wird. Ich würde als Politiker einmal austesten, ob Profilzeigen den Wählerzahlen wirklich so abträglich ist, wie man hier in Österreich gemeinhin vermutet.

Gibt es eigentlich einen Politiker, den Sie schätzen?

Prix: Den Daniel Cohn-Bendit (deutsch-französischer Grün-Politiker, Anm.) würde ich mir für Österreich wünschen. Von dem können sich die Grünen eine Scheibe abschneiden. Er ist immer zu seiner Meinung gestanden. Und er hat sich, genauso wie Joschka Fischer (ehemaliger deutscher Außenminister und Grünen-Chef), weiterentwickelt, sodass er heute ein sehr profiliertes Bild eines Politikers abgibt.

Sind Sie von den österreichischen Grünen enttäuscht?

Prix: Die existieren für mich nicht.

Was halten Sie von Kanzler Werner Faymann?

Prix: Eigentlich viel. Ich kenne ihn aus seiner Zeit als Wiener Wohnbaustadtrat. Er und sein Staatssekretär Josef Ostermayer sind die einzigen Politiker, die vor mir gestanden sind und nicht hinter mir.

Sie gelten als Mitbegründer des Dekonstruktivismus in der Architektur– also einer Ideologie, die danach trachtet, alle Klischees, Formalismen und ökonomischen Zwänge beiseitezulassen. Wo würden Sie sich politisch einordnen?

Prix: Es ist zwar wahnsinnig unmodern, die Generation der 68er zu verteidigen, aber ich würde schon sagen, dass ich den „Idealen“ dieser Generation nach wie vor sehr nahe stehe: und zwar der Befreiung von Sachzwängen, Klischees und Formalismen.


Was sagt der Alt-68er und Architekturprofessor zu den Studentenprotesten von heute?

Prix: Ich habe meine Studenten aufgefordert, ins Audimax zu gehen, denn ich halte das für absolut richtig. Da geht es um grundlegende Dinge in unserer Gesellschaft: Werden wir ausgebildet oder gebildet? Ausgebildet heißt, wir werden für den Markt „hergerichtet“. Dieser Markt musste gerade seinen Bankrott erklären. Ich denke, wenn unsere Gesellschaft geisteswissenschaftlich gebildeter wäre, würde Strache weniger gewählt werden.


Was würden Sie im Bildungssystem ändern, wenn Sie könnten?

Prix: Ich würde die Universitäten mit höheren Budgets ausstatten, aber auf keinen Fall Studiengebühren einführen. Außerdem halte ich die indirekte Beschränkung der Studiendauer für total falsch. Denn Zeit zum Studieren ist kostbar. Es ist idiotisch, dass man ab einer gewissen Semesteranzahl keine staatliche Unterstützung mehr bekommt. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Der Staat sollte auch Auslandsstudien finanzieren.


Ohne Gegenleistung?

Prix: Umgekehrt müssten sich die Leute verpflichten, zwei, drei, vier, fünf Jahre nach Abschluss ihres Studiums in Österreich zu bleiben.

Wie viel Macht hat der Architekt?

Prix: Er verliert tagtäglich an Macht, weil wir Architekten dumm genug sind, an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen.

Wie ist das zu verstehen?

Prix: Wir lassen uns zu leicht zu Befehlsempfängern degradieren. Ich gebe zu, dass es sehr schwer ist, gegen die ökonomischen Zwänge anzukämpfen. Aber viele lassen sich zu früh ins Bockshorn jagen, und daher schaut die Architektur so aus, wie sie manchmal eben ausschaut. Nur ganz wenigen gelingt es, diese Zwänge zu durchbrechen und der Architektur den Freiraum zu geben, den sie als dreidimensionale Darstellung der Kultur haben muss.

Was würden Sie gern bauen, wenn Sie völlige Freiheit hätten?

Prix: Ich bin vollauf begeistert von dem, was wir jetzt bauen. Dass ich immer wegfahren muss, um diese Aufgaben zu bekommen und die Baustellen zu besuchen, bedaure ich schon. Denn ich sage mit Hans Hollein: Ich möchte nicht nur zum Ansehen von Wien beitragen, sondern auch zum Aussehen.

ZUR PERSON

Wolf D. Prix, 67, (im Bild mit Interviewer Prior) studierte Architektur in Wien, London und Los Angeles. 1968 gründete er mit Helmut Swiczinsky und Michael Holzer das Architekturbüro Coop Himmelb(l)au in Wien. Seit 1988 gibt es auch eine Dependance in Los Angeles. Zu den bekanntesten Projekten zählen das UFA-Kinozentrum in Dresden, das Akron Art Museum in Ohio und die BMW-Welt in München. Derzeit bauen Coop Himmelb(l)au in China, Dänemark, Deutschland (den Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main und einen Opernpavillon in München), Frankreich, Italien, Spanien und Südkorea. Prix, vielfacher Preisträger, Zigarrenraucher und Rolling-Stones-Fan, ist auch Professor und Vizerektor an der Universität für angewandte Kunst in Wien. [Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2009)

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