Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten: "Meilenstein" und "Wahlzuckerl"?

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SPÖ, FPÖ und Grüne haben in der letzten Sitzung des "alten" Nationalrates die endgültige Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten beschlossen.

Noch gestern warnte IV-Präsident Georg Kapsch vor einem Schnellschuss wenige Tage vor der Wahl. Geholfen hat es wenig. Die Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten ist fix. Der Beschluss Donnerstagabend im Nationalrat wurde von SPÖ, Freiheitlichen und Grünen gefällt. Neben der Volkspartei stimmten auch die NEOS dagegen. Deren Sozialsprecher Gerald Loacker sprach von einem billigen Wahlkampf-Schmäh. Er hätte die Schaffung eines einheitlichen Arbeitnehmer-Begriffs gewünscht. Die ÖVP reagiert verschnupft, sieht eine Husch-Pfusch-Aktion und vermisst eine Verständigung unter den Sozialpartnern.

Als Zugeständnis gegenüber den Arbeitgebern wurden allerdings in den Parteienverhandlungen die Fristen für das Inkrafttreten nach hinten verschoben. Die Kündigungsfristen werden (zugunsten der Arbeiter) mit dem Jahr 2021 harmonisiert. In Saison-Branchen können bei einer entsprechenden Verständigung der Sozialpartner auch weiter eigene Regelungen etabliert werden. Mitte kommenden Jahres tritt die Anpassung bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (zugunsten der Angestellten) in Kraft.

Gewerkschaft jubelt, Wirtschaftskammer entsetzt

Damit sei der Anachronismus der Schlechterstellung von Arbeitern endlich überwunden, begrüßte ÖGB-Präsident Foglar den Beschluss in einer Aussendung. Foglar freute sich über einen "Meilenstein für die Arbeitswelt". Die Angleichung der Entgeltfortzahlung sei für die Gesamtwirtschaft nahezu kostenneutral. PRO-GE-Bundesvorsitzender Rainer Wimmer freute sich, dass endlich die Zwei-Klassen-Arbeitnehmerschaft abgeschafft wurde. Es sei höchst an der Zeit gewesen, diese "ungerechtfertigte und im Widerspruch mit den Anforderungen der Arbeitswelt des dritten Jahrtausends stehende Diskriminierungen von Arbeitern abzuschaffen", merkte vida-Chef Roman Hebenstreit an.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl ist hingegen "enttäuscht" über ein "Wahlzuckerl zulasten der gesamten Wirtschaft, welches den Menschen im Land in Wirklichkeit einen Bärendienst erweist". Diese Regelung bedeute eine massive Kostenerhöhung für Betriebe, "die am Ende des Tages für alle teuer wird" - weil sie sich in der Arbeitslosenquote und im Wachstum niederschlagen werde. "Unverantwortlich" und in der Vorgehensweise "untragbar" nannte die Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk, Scheichelbauer-Schuster, den Beschluss.

Internatskosten fixiert

Fixiert wurde auch, dass die Kosten für Lehrlingsheimplätze künftig vom Arbeitgeber-gespeisten Insolvenzentgeltfonds übernommen werden und nicht mehr von den Lehrlingen. Als Ausgleich für die Dienstgeber wird die Auflösungsabgabe, die derzeit bei Kündigungen in Höhe von 124 Euro fällig wird, abgeschafft.

Entlastet werden die Dienstgeber im Gegenzug dadurch, dass die Auflösungsabgabe bei Kündigungen mit Ende 2019 der Vergangenheit angehören wird.

Die Eckpunkte im Detail:

Kündigungsfristen:

Für Arbeiter gelten künftig die gleichen, also längeren, Fristen wie für Angestellte. Es gibt aber eine Übergangsfrist, die neuen Regeln treten erst mit 1. Jänner 2021 in Kraft. Eine Ausnahme gibt es für Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen (z.B. Bau oder Tourismus). Hier können in den Kollektivverträgen abweichende Regelungen festgelegt werden, sprich es bedarf einer Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Entgeltfortzahlung im Krankenstand:

Arbeiter wie Angestellte erhalten bereits ab dem zweiten Arbeitsjahr einen Entgeltfortzahlungsanspruch für acht Wochen. Neu ist auch, dass bei einer einvernehmlichen Lösung der Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus die Entgeltfortzahlung zu leisten hat.

Lehrlinge erhalten bis zu acht Wochen die volle Lehrlingsentschädigung (bisher vier Wochen), danach bis zu weiteren vier Wochen die Differenz zwischen der vollen Lehrlingsentschädigung und dem gesetzlichen Krankengeld (bisher zwei Wochen).

Die Änderungen treten mit 1. Juli 2018 in Kraft.

Bezahlte Dienstverhinderung

Die Generalklausel "wichtiger persönlicher Grund" darf für Arbeiter nicht mehr eingeschränkt werden. Zwei Beispiele: Der Kindergarten wird wegen eines großflächigen Infektionsalarms geschlossen. Oder aufgrund von Unruhen wird der Flughafen des Urlaubslandes geschlossen, was einen termingerechten Rückflug verhindert.

(APA)

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