Deutschland: Mit Gegenwind Richtung Jamaika

Deutschland bricht nach Jamaika auf.
Deutschland bricht nach Jamaika auf.(c) imago/Christian Ditsch
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Am Mittwoch starteten Verhandlungen um ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen. In der CDU erwartet man die schwierigste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik.

Wien/Berlin. Angela Merkel steht auf dem Balkon und zeigt Christian Lindner etwas am Horizont. Der FDP-Vorsitzende lächelt freundlich. Auch CSU-Chef Horst Seehofer sieht gut gelaunt aus, genauso wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki (der nun Bundestagsvizepräsident werden könnte). So fing es also an: das Experiment. Seit gestern sondieren Union, FDP und Grüne im mondänen ehemaligen Reichtagspräsidentenpalais eine Jamaika-Koalition. Es ist die einzige verbliebene Regierungsoption – weil die SPD in der Opposition ihr Profil schärfen will.

Zuerst trafen sich Unterhändler von FDP und CDU/CSU, dann am späteren Nachmittag Union und Grüne. Es ist weit nach Jamaika. Ungefähr 8500 Kilometer. Aber die ersten Schritte sind getan, heißt es in der FDP nach dem ersten Treffen. In der CDU hatte man ein „gutes Gefühl“. Konstruktiv fand das Treffen die CSU.

Es ist ein später Start für die Sondierungen. Merkel hatte noch die Wahl in Niedersachsen abwarten wollen. Im Rückblick ein Fehler. Die CDU hat dort verloren – so wie FDP und Grüne. In Hannover gab es keine Karibikstimmung.

Österreich (k)ein Vorbild

Der Wahlsieg von Sebastian Kurz in Österreich stachelte zeitgleich die CSU an, noch etwas lauter auf einen rechteren Kurs zu drängen. Was wiederum Jürgen Trittin, Anführer des linken Flügels der Grünen, zu Sticheleien verleitete: Er sei besorgt, dass nun „viele in der CSU und CDU“ den Weg von Kurz einschlagen wollten. Die Politik des VP-Chefs beschrieb Trittin so: „Ich mache die gleiche rechtspopulistische Politik wie FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, aber ich sehe besser aus.“ Auch CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen warnte die Union in der „Zeit“ vor einem Rechtsruck wegen des Wahlergebnisses im Nachbarland.

Österreich als Ballast auf dem Weg nach Jamaika. Dabei sind die Sondierungen schon schwierig genug. FDP und Grüne trennt eine jahrzehntealte Rivalität. „Noch komplizierter wird es aber mit der CSU“, heißt es bei den Grünen hinter vorgehaltener Hand. Denn es herrscht Unordnung in Bayern, erste Bezirksverbände sägen am Stuhl des Chefs. Und 2018 stehen auch noch Landtagswahlen an. Der bayrische Ministerpräsident darf sich keine Blöße geben, auch wenn er den Grünen in Berlin schon am Dienstagabend einen ersten freundlichen Besuch abstattete. „Er hat's überlebt“, scherzten die Gastgeber im Anschluss.

Es gibt viele taktische Spielchen im Berlin dieser Tage. Überall wird die Erwartungshaltung wegen der Sondierungen gedrückt. CDU-Vize Volker Bouffier erwartete die vielleicht schwierigste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik. Die FDP will eine sehr teure Braut sein, zumal man nach der ersten Verpartnerung mit Merkel aus dem Bundestag flog. Und so zieht Lindner rote Linien, der Solidaritätszuschlag zum Beispiel muss abgeschafft werden. Ein CDU-Finanzminister ist ein No-go. Ein paar der Hürden dürften auch Emmanuel Macron im ?lysée-Palast irritieren, zum Beispiel, dass Lindner in der Währungspolitik keine neuen Geldtöpfe will, keine Vergemeinschaftung von Schulden. Die Grünen sehen das anders. Es ist eben weit nach Jamaika.

Der größte Brocken ist die Migrationspolitik. Zumindest das Reizwort Obergrenze haben Seehofer und Merkel in internen Verhandlungen entsorgt. Stattdessen gibt es einen Richtwert – 200.000.

Den Grünen reicht der Unionskompromiss nicht. Sie drängen darauf, den bis März 2018 ausgesetzten Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte (also Flüchtlinge ohne Asylstatus) wieder zu erlauben. Alles andere sei inhuman. Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU) deutet gegenüber der „Presse“ einen möglichen Kompromiss an, der auch die Zustimmung der Union zu einem von FDP und Grünen geforderten Einwanderungsgesetz enthalten könnte.

In der Klimapolitik trennen die Grünen indes Welten von CSU und FDP. Nach den Sondierungen wird ein grüner Parteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden. Bis dahin könnten noch Wochen vergehen. Es ist eben weit nach Jamaika.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2017)

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