Neujahrskonzert: Graziöser Tanz durch die Luft

Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker
Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker(c) ORF (Ali Schafler)
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Mit Georges Prêtre eroberten die Wiener Philharmoniker wieder einmal Regionen, in denen die Luft für die meisten anderen Musiker zu dünn ist. Zündende Polkas und Galoppe waren bei Prêtre in besten Händen.

Beim „Donauwalzer“ hatte man bereits abgehoben. Frei von jeglicher musikalischen Schwerkraft entwickelten sich da die Melodielinien. Die Musik schwebte. Und so, als würde zu einem imaginären Text gesungen, atmete jede Phrase frei, in ihrer jeweils eigenen, unwiederholbaren sprachlichen Rhythmisierung. Das sind die allerhöchsten interpretatorischen Weihen, die eine Partnerschaft von Dirigent und Orchester erhalten kann. Nicht nur am Neujahrsmorgen ist man patriotisch genug gesinnt, um zu behaupten, dergleichen wäre in solcher Vollendung vermutlich nur in Wien zu erreichen.

Ein Orchester auf dem Hochseil

Tatsächlich gibt es wohl nicht viele Orchester in der Welt, die über so viel Reaktionsvermögen und Balancegefühl verfügen, einen solchen Hochseilakt zu bewältigen. Und es gibt außer Georges Prêtre kaum einen Dirigenten, der das Seil dazu in solch schwindelerregender Höhe aufspannt. Er begnügt sich nicht mit Andeutungen, mit einer Prise Klangfreiheit. Er zwingt die Musiker, auf die Musik zu hören und im entscheidenden Moment eben nicht auf den Schlag des Maestros zu warten, sondern zu fühlen, wann der Moment zum Einsatz gekommen ist. Der einzig richtige Moment, denn ein wenig früher, und wir wären wieder auf dem Boden der simplen Eins-, Zwei-, Drei-Viertel-Realität gelandet; ein wenig zu spät, und der Seiltänzer, in diesem Fall die Musik selbst, wäre abgestürzt.

Prêtre ist berüchtigt dafür, jedem Orchester solche Nervenkitzel zu bescheren. Den Takt schlägt er nicht, er gestaltet die Musik, suggeriert mit einem immensen Repertoire an Gesten, Gebärden und Blicken, was die Klänge uns erzählen sollten. Die Musiker sind angehalten, diese Geschichten so variantenreich und ausdrucksvoll wie möglich vor unseren Ohren auszubreiten.

Maestro sorgt für Nervenkitzel

Dass ein solches Abenteuer mit den Wiener Philharmonikern am allerbesten gelingen muss, versteht sich wohl aus der täglichen Opernerfahrung, die diese Musiker sammeln; aus der in langer Tradition gewachsenen Kunst, sich an gesangliche Linien anzupassen, feinste Regungen und Nuancen aufzunehmen. Prêtre zwingt diese Musiktheatertugenden auch in den Konzertsaal, inszeniert selbst Walzer und Polkas zu Miniaturdramen, in denen sich mannigfaltige Abenteuer ereignen, deren Erlebnischarakter es unmöglich macht, dass sich etwas simpel wiederholt, dass eine Phrase zweimal gleich klingt. Dergleichen stuft der Maestro unter die Fantasielosigkeiten ein. Die lässt er nicht zu.

Die Nixen und die Barcarole

Im diesjährigen Programm fand sich unter anderem auch die Ouvertüre zu Jacques Offenbachs „Rheinnixen“, einem Opernversuch, dem wenig Glück beschieden war, der aber doch Musik enthielt, die später als „Barcarole“ in „Hoffmanns Erzählungen“ zu Weltruhm gelangen sollte.

Für die „Rheinnixen“ zauberte Offenbach aus der hinreißenden Melodie eine dramatisch aufrauschende symphonische Dichtung, die sich gegen die Mitte zu atemberaubend steigert. In der Pause vor der Wiederkehr des Themas hielt das Publikum im Goldenen Musikvereinssaal – und mit ihm bei der Liveübertragung wohl die halbe mit Fernsehschirmen versorgte Welt – kollektiv den Atem an. Solche Verdichtung erreichten die Musiker freilich auch bei altbekannten Stücken, wenn auch in weniger dramatischem Zusammenhang, mochten es die artistisch brillanten Soli im „Perpetuum mobile“ sein oder die magisch schön gemischten Farbvaleurs in den symphonischen Einleitungen zu „Wein, Weib und Gesang“ oder den „Wiener Bonbons“.

Dass zündende Polkas und Galoppe beim energetischen Maestro Prêtre in besten Händen sind, hatte man ohnehin erwartet. So wurde das Konzert auch zur Fallstudie gegen den grassierenden Jugendwahn (oder besser vielleicht die Altersfeindlichkeit): So frisch wie dieser Fünfundachtzigjährige wirkt nicht bald ein Musiker . . .

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