Leitartikel

Die Sozialpartner und ihr Scherbenhaufen

Die Sozialpartner müssen sich neu erfinden, wenn sie überleben wollen. Für Konfliktdemokratie, wie sie zuletzt der ÖGB praktizierte, braucht sie niemand.

Am Mittwoch zeigte der ÖGB der Regierung, wo der Sozialpartner-Bartel den Most holt: Wer immer an der Pflichtmitgliedschaft der Kammern, der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen, dem Kollektivvertragssystem etc. zu rütteln versuche, der werde es mit der geballten Gewerkschaftsmacht zu tun bekommen, hieß es sinngemäß in einer Resolution. Man erwarte sich, dass die Sozialpartner auch künftig in die politische Entscheidungsfindung eingebunden werden.

Eine ziemlich präpotente Kraftmeierei, mit der dem möglichen Bundeskanzler Kurz ausgerichtet wurde, er könne sich seine angekündigten Reformen im Bereich der Sozialpartner und der Sozialversicherungen gleich wieder einrexen. Und eine seltsame noch dazu: Erst ein paar Tage vor der Nationalratswahl hat die Gewerkschaft ja die dienstrechtliche Angleichung der Arbeiter und Angestellten gegen den Sozialpartner Wirtschaftskammer erfolgreich über die rot-blaue Politschiene gespielt. Und damit genau jene Rolle der Sozialpartner beschädigt, die sie jetzt so vehement zu verteidigen vorgibt.

Die Gewerkschafter haben damit den Schritt vom bewährten institutionellen Konfliktlösungsmechanismus zur Konfliktdemokratie gesetzt. Das muss nicht schlecht sein. Aber in dieser Form benötigt die Sozialpartner eben niemand. Schon gar nicht in der Verfassung und in Form von Pflichtmitgliedschaftsorganisationen. Da wird die Sozialpartnerschaft ihre Rolle ernsthaft überdenken müssen, wenn sie nicht in eine Existenzkrise schlittern will.

Irgendwie ist das seltsame Agieren des ÖGB ja zu verstehen: Die Gewerkschaft hat durch die Krise und die gerade laufenden Veränderungen in der immer digitaler werdenden Arbeitswelt stark an Einfluss und Macht in einer ihrer Kernkompetenzen, dem Aushandeln von Lohnerhöhungen, eingebüßt. Wir stehen vor dem Phänomen, dass erstmals in der Geschichte der Industrialisierung anspringendes Wirtschaftswachstum und rückläufige Arbeitslosenraten nicht mehr automatisch Lohndruck nach oben auslösen. Ein volkswirtschaftliches Phänomen, das nicht nur Gewerkschaften, sondern auch gegen Deflation kämpfende Nationalbanken ratlos aussehen lässt. Das hat seinen Grund unter anderem darin, dass die traditionellen lebenslangen Arbeitsverhältnisse zerbröckeln und eine Reihe von neuen Arbeitsformen entsteht, die den Unterschied zwischen Arbeitnehmer und Kleinunternehmer immer mehr verschwimmen lässt.

Die Sozialpartner – da ist keiner ausgenommen – haben darauf in vielen Fällen noch nicht die richtigen Antworten gefunden. Dem Versuch, das mit Rezepten aus dem vorigen Jahrtausend in den Griff zu kriegen, sehen wir ja gerade beim Scheitern zu.


Die Antwort darauf kann aber nicht ein Einbunkern à la ÖGB sein. Sondern eine Neudefinition der Sozialpartnerschaft. Die hat sich auf ihre wichtige Servicefunktion zurückzuziehen. Dort sind ihre Organisationen richtig gut. Und auf die Kollektivvertragsebene. Dort hat sie Großes geleistet und tut das noch immer. Und da gibt es auch viel zu tun: Die oben beschriebene Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sorgt ja auch dafür, dass unflexible Branchenkollektivverträge immer mehr unter Druck kommen. Da gilt es, neue Modelle zu entwickeln.

Aber die Sozialpartner sollten die Finger vom Hineinregieren lassen. Zumal dann, wenn sich eine ihrer Organisationen, wie der unterdessen eingebunkerte ÖGB, gerade zur Reform- und Zukunftsbremse entwickelt.

Wenn die Sozialpartnerschaft einen Sinn hat, dann als konstruktiver, zukunftsorientierter Konfliktlösungsmechanismus. Für Konfliktdemokratie (auch gegenüber anderen Sozialpartnern), wie sie der ÖGB jetzt immer offensichtlicher probiert, brauchen wir keine verfassungsmäßig abgesicherten Pflichtorganisationen. Das können die Parteien allein auch.

Von Machtpositionen trennt man sich nur ungern. Aber so, wie sie zuletzt gelebt wurde, ist die Sozialpartnerschaft tot. Auch wenn das ihre Proponenten noch nicht wahrhaben wollen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2017)

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