Fladenbrot und Kässpätzle

(c) (Erwin Wodicka)
  • Drucken

Sonntagsspaziergang.Vahide Aydin sitzt seit Oktober als erste Frau mit türkischen Wurzeln im Vorarlberger Landtag. Im Zusammenleben von Migranten und gebürtigen Österreichern vermisst sie die »gegenseitige Wertschätzung«.

Vahide Aydin seufzt, wenn sie an den vergangenen Wahlkampf denkt. An diesem sonnigen Dezembertag sucht die Neo-Landtagsabgeordnete ein wenig Ruhe an der Dornbirner Ach. Der Fluss, der in den Bodensee mündet, ist fast zugefroren. Ein kleiner Hund rutscht auf den Eisflächen herum. Bei seinem Anblick fällt der 41-Jährigen ein, wie sie bei einer Wahlkampfveranstaltung von einem Schäferhund in den Bauch gebissen wurde. Und doch: Das sei im Vergleich nichts gewesen, wenn sie an die Fehden mit den „beißenden Zweibeinern“, also einigen politischen Gegnern, denke. „Alle Stimmen in diesem Wahlkampf waren hart verdient.“ Nun sitzt Aydin als erste Migrantin für die Grünen im Vorarlberger Landtag.

Hier, an der Dornbirner Ach, lässt Aydin die vergangenen Monate Revue passieren. Das macht sie häufiger in letzter Zeit; jetzt, nach dem Wahlkampf, findet sie Zeit dafür. Aydins Lieblingsplatz lädt zum Entspannen ein. Nur das gelegentliche Knattern der Züge auf der Eisenbahnbrücke stört die Ruhe.

Aydins Einzug in den Landtag kam unverhofft. Auf den fünften Listenplatz gereiht, errang sie mit Vorzugsstimmen das Grundmandat in Dornbirn, vor allem durch den Zuspruch der Migranten. Auch für ihre Partei war das Wahlergebnis überraschend. Die Grünen jubelten. Aydins Erfolg tröstete die Partei auch über den Verlust des fünften Mandats hinweg.

Türkin und Österreicherin. Die gebürtige Türkin entstammt eigentlich einer sozialdemokratisch gesinnten Familie. Und ja, sie könne sich in vielerlei Hinsicht mit der Sozialdemokratie identifizieren. Aber als die Grünen an sie herangetreten sind, hat sich Aydin vor allem aus einem Grund für sie entschieden: Nur sie würden eine angemessene Integrationspolitik betreiben. So zeigt sie sich unzufrieden, dass der „Nationale Aktionsplan“ des Österreichischen Integrationsfonds auch die Stimmen der SPÖ erhielt.

Zwar unterstütze sie die dort festgeschriebene Zielsetzung, dass Einwanderer insgesamt 600 Deutschstunden besuchen müssten. Die Forderung, bereits vor der Einreise Deutschkenntnisse vorzuweisen, stößt bei Aydin aber auf Unverständnis. Nur die wenigsten hätten die Möglichkeit, vor ihrer Auswanderung Kurse zu besuchen. Aber dass die Sprache gelernt werden muss, steht für Aydin außer Frage. Sprache und Bildung seien der Schlüssel zu erfolgreicher Integration. Sie selbst erzieht ihre Kinder im Alter von 13 und vier Jahren zweisprachig. „Ich gebe ihnen ein ,Wir-Gefühl‘ mit.“ Das Gefühl, dass sie und ihre Kinder genauso türkisch seien wie österreichisch. Diese Balance müsse die türkische Community noch lernen.


„Anti-Wir-Gefühl“. Rund 30 Prozent der Migranten im Ländle sind Türken. Man dürfe nicht vergessen, warnt Aydin, dass auch sie eine heterogene Gruppe bilden. In Sachen Religion etwa, wo es drei Strömungen gebe. Nicht zu vergessen die Aleviten, zu denen sie sich auch selbst zählt. Aber welcher Gruppe die Türken sich auch zugehörig fühlen, ihnen hänge zu oft das Vorurteil der Integrationsunwilligkeit an. Aydin etwa kenne aber niemanden, der sage: „Ich möchte nicht, dass mein Kind Deutsch lernt.“ Minarett- und Kopftuchverbot seien Sanktionen, die die falschen Signale aussenden, ein „Anti-Wir-Gefühl“ erzeugen würden.

Vahide Aydin erzählt viel und gern. Vom Skifahren, von Theatersamstagen, Schulaufführungen. Von ihrem Job als Sozialarbeiterin, dem sie nun auf Teilzeitbasis nachgeht. Sie schwärmt von Parteikollegen, Geschwistern und ihrem Mann. Und sie erzählt gern von ihrem Ehrgeiz. Aydin war zehn, als sie nach Vorarlberg kam. Mit ihren sechs Geschwistern wuchs sie in Schwarzach auf. Bei ihrer Einschulung konnte Aydin kaum Deutsch, doch sie lernte schnell. Sie besucht die Hauptschule, wo ihr ein Mitschüler mitteilte: „Du wirst Hilfsarbeiter.“ Er sollte nicht recht behalten: Aydin absolvierte das Borg in Lauterach als erste Schülerin mit Migrationshintergrund und studierte an der Sozialakademie. Ihr Lebenslauf, sagt Aydin, mache sie zu einem „Beispiel der gelungenen Integration“.

Obwohl die Politik in den vergangenen Jahren positive Impulse gesetzt habe, sieht sie die Integrationspolitik in Vorarlberg noch „in den Anfängen“. Es fehle vor allem an gegenseitiger Wertschätzung. Über die Frage, was Integration eigentlich heißt, muss Aydin dennoch kurz nachdenken. Die Antwort fällt bildhaft aus: „Das heißt: Fladenbrot backen und Kässpätzle kochen können.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.