Der Wiener will sich mit deftiger Sprache abreagieren, nicht beleidigen

Der Stinkefinger funktioniert nonverbal, wird aber des öfteren verbal begleitet.
Der Stinkefinger funktioniert nonverbal, wird aber des öfteren verbal begleitet.(c) Bilderbox
  • Drucken

Nur elf Prozent wollen einer Studie zufolge wirklich jemanden beleidigen. Scherzhaftes Fluchen geht leicht zurück und es gibt mehr "Opfer" und "Behinderte".

Nicht gerade selten entfährt dem echten und gelernten Wiener ein mehr oder weniger deftiger Ausspruch. Einer Studie der Germanistin Oksana Havryliv zufolge, wollen die wenigsten damit aber wirklich beleidigen. Im Zunehmen ist demnach das Schimpfen um sich abzureagieren. Scherzhaft-kosendes Fluchen a la "Heast, du Wappler!" sei hingegen seltener geworden.

Ein herzhafter Kraftausdruck sei entgegen vieler Annahmen nicht unbedingt dazu gedacht, einem gerade anwesenden oder durch Abwesenheit glänzenden Gegenüber eine Kränkung oder Beleidigung auszurichten. Viel häufiger gehe es dabei um eine reinigende Funktion. Belege für diese Hypothese sammelt die gebürtige Ukrainerin Havryliv seit 2006 in der österreichischen Bundeshauptstadt mit ihrem ergiebigen Schimpfwort-Reservoir. Möchte man tatsächlich etwas über das Fluchen herausfinden, müsse man sich dem Dialekt zuwenden, "denn der ist den Sprachträgern emotional einfach näher", zeigte sich die Forscherin vom Institut für Germanistik der Universität Wien in Gespräch überzeugt.

Das (fast) kosende "Heast, du Wappler" wird weniger

In zwei vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Untersuchungen im Verlauf von sieben Jahren zeigte sich, dass die gängige Sprachpraxis vor allem "produktive Aspekte" und weniger destruktive Züge aufweist. In beiden Studien wurden jeweils 36 Interviews geführt und 200 Fragebögen von Personen ausgewertet, die den größten Teil ihres Leben in Wien zugebracht haben. Erstaunlicherweise lag der Anteil jener Befragten, die angaben, tatsächlich eine gewalttätige oder beleidigende Intention zu verfolgen jeweils bei exakt elf Prozent. Bei weitem am häufigsten wird geschimpft, um negative Emotionen loszuwerden. Der Anteil an Personen, die vorrangig aus diesem Grund fluchen, stieg demnach sogar von 64 auf 73 Prozent.

Eher scherzhaft gemeinte Kraftausdrücke - also beispielsweise der Einsatz des sprichwörtlichen "Wiener Schmähs" wie "Heast, du Wappler" - kommen Wienern mittlerweile offenbar etwas weniger leicht über die Lippen. "Jetzt trauen sie sich das weniger, weil sie nicht wissen, wie Leute aus anderen Kulturen auf die Beschimpfung reagieren", sagte Havryliv. Manche Befragte fürchteten sogar, dass aus dem Unverständnis ein handfester Streit entstehen könnte.

Mehr "Opfer" und "Behinderte"

Mit politischer Korrektheit habe das weniger zu tun. Deren Auswirkung zeige sich eher unter Schülern. Mittlerweile würden Mitschüler zwar weniger häufig aufgrund ihrer Herkunft beschimpft, "aber Schimpfwörter, die auf geistige oder körperliche Besonderheiten abzielen, wie 'Behinderter' oder 'Opfer', haben zugenommen", sagte Havryliv.

Unterschiede zwischen Mann und Frau ergaben sich laut der Forscherin nur wenige. Salopp gesagt, zeigte sich jedoch, dass Frauen etwas vielfältiger und auf bestimmte Anlässe hin gezielter schimpfen. "Frauen gaben auch öfters an, ein bestimmtes Wort etwa nur im Freundeskreis zu verwenden", so die Wissenschafterin. Einen sehr ähnlich ausgeprägten Hang zur Selbstbeschimpfung ("Ich Trottel") hätten aber beide Geschlechter.

Was die angegebene Häufigkeit der verwendeten Wörter betrifft, setzen die Wiener auf Altbewährtes: Deutlich am häufigsten werden demnach Klassiker wie "Arschloch", "Trottel" oder "Idiot" (in dieser Reihenfolge) gebraucht. Auch wenn sie einer gewissen Veränderung unterliege, müsse man sich um die Wiener Schimpfkultur laut der Germanistin keinesfalls Sorgen machen.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Archivbild: Blutwurst
Wien

Wienerisch-Quiz: Wer kennt den ''Blunzenstricker''?

Quiz Wienerische Ausdrücke geraten immer mehr in Vergessenheit. Welche kennen Sie noch?
Ewa Placzynska in ihrem "Oida"-Video
Wien

Die Frau, die der Welt das "Oida" beibringt

Mit einem Video auf YouTube wurde Ewa Placzynska innerhalb weniger Stunden zum Internet-Hype. "Die Presse" sprach mit der Schauspielerin über das mögliche Sprungbrett für die weitere Karriere.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.