AfD im deutschen Parlament: Es beginnt mit einem Eklat

Der 19. Bundestag konstituiert sich. Er zählt 709 Abgeordnete –und damit so viele wie noch nie seit der Gründung der Bundesrepublik.
Der 19. Bundestag konstituiert sich. Er zählt 709 Abgeordnete –und damit so viele wie noch nie seit der Gründung der Bundesrepublik.APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rät zur „Gelassenheit“. Auch mit Blick auf die neue Rechte. In der ersten Sitzung wird es ungemütlich. Der AfD-Kandidat fällt durch.

Berlin/Wien. Der Mann war schon viel. Verhandler der Wiedervereinigung zum Beispiel, Chef der CDU, des Innen- und des Finanzministeriums. Aber hier saß er noch nie. „Muss ich selber drücken?“, fragt Wolfgang Schäuble. Nein, der Ton ist an. Gelächter. Seit ein paar Momenten ist der 75-Jährige Bundestagspräsident. „Niemand vertritt alleine das Volk“, mahnt er in seiner Antrittsrede. Schäuble sagt nicht „AfD“. Aber jeder versteht, auf wen er anspielt: die Abgeordneten, die nun ganz rechts sitzen, die Alternative für Deutschland (AfD).

Dieser Dienstag war eine Zäsur. Für Schäuble. Für Deutschland. Der 19. Bundestag ist mit seinen 709 Mandataren (in sechs Fraktionen) so aufgebläht wie nie – und mit einem Frauenanteil von 30,9 Prozent so „männlich“ wie seit 1994 nicht mehr. Die Zeitenwende hat zuvorderst damit zu tun, dass zum ersten Mal seit 56 Jahren wieder eine Fraktion rechts von CDU/CSU sitzt, darunter Rechtsausleger, die mit völkischen oder revisionistischen Parolen auffallen. Wilhelm von Gottberg zum Beispiel sinnierte über den „Mythos“ Holocaust. Der 77-Jährige hätte als Alterspräsident diesen 19. Bundestag eröffnen sollen. Eigentlich. Eine umstrittene Änderung der Geschäftsordnung im Sommer verhinderte das. Seither ist der Alterspräsident nicht der älteste Abgeordnete, sondern jener mit den meisten Dienstjahren. Das wäre Schäuble, der als designierter Bundestagspräsident aber zugunsten von FDP-Mann Hermann Otto Solms verzichtete.

Aufregung um Glaser

Der Kniff war umstritten. Er drängte die AfD in die wohlige Opferrolle. Bisher wurden AfD-Politiker mit „Nazis“ verglichen, zuletzt von Joschka Fischer im „Spiegel“. Im 19. Bundestag ist es ein AfD-Politiker, Bernd Baumann, der die Nazikeule auspackt: Die Verhinderung des AfD-Alterspräsidenten erinnere ihn an 1933, als Hermann Göring die Regelung letztmals aushebelte. Aufreger Nummer eins.

Die Wahl der sechs Bundestagsvizepräsidenten bot den nächsten kalkulierten Eklat. Eigentlich sollte die AfD nicht weiter geschnitten werden. Inhaltlich stellen, aber nicht austricksen und auch nicht jede Provokation hochspielen, lautete das Credo. Aber Glaser? Der 75-Jährige hatte gefordert, dem Islam das Grundrecht auf Religionsfreiheit zu entziehen. Glaser fiel in allen drei Wahlgängen durch.

Unter der Reichstagskuppel gibt es auch schon eine erste Kostprobe von „Jamaika“, CDU/CSU, FDP und Grüne schmettern einen Antrag der SPD unter ihrer neuen Fraktionschefin Andrea Nahles ab. Zuletzt dämpfte jedoch das einsetzende Postengeschacher die Karibikstimmung. Die FDP schielt auf das Finanzministerium. Das irritiert die Grünen. Merkel hat das Ministerium jedenfalls schon freigeräumt, auch wenn Schäuble hartnäckig dagegen anredet, sein Abgang sei nicht ganz freiwillig gewesen. Zum Abschied formten seine Mitarbeiter im Finanzministerium eine schwarze Null – die prall gefüllte Staatskasse ist Schäubles größtes Vermächtnis,
Nun soll Merkels Allzweckwaffe die AfD zähmen. Der Mann hat ja schon viel erlebt. Wie er in seiner Antrittsrede erinnert. 1972, etwa, in seinem ersten Jahr als Abgeordneter, sei die Stimmung aufgeladen gewesen. Es ging um Brandts Ostpolitik. Das Land politisierte sich. „Geschadet hat es nicht.“ Es ist ein Plädoyer für „Gelassenheit“ und lebendige Streitkultur. Aber eine anständige. „Prügeln sollten wir uns hier nicht“, sagt der Bundestagspräsident. Bisher dominierte die Große Koalition den Bundestag mit 80 Prozent der Mandatare. Das bisschen Opposition bildeten Grüne und Linkspartei. Mehr war nicht - für den Parlamentarismus eine Katastrophe, wie CDU-Bundesvorstand Mike Mohring in der „Presse“ monierte. Es stärkte die AfD.

Ein langes Monat liegt deren Wahlerfolg (13 Prozent) zurück. Seither ist viel passiert. Rechts hinten auf einem blauen Sessel ohne Tischchen sitzt Frauke Petry, einst AfD-Parteichefin, jetzt fraktionslos. Petry hat die „Blaue Partei“ anmelden lassen. Der Sächsin schwebt eine Art deutschlandweite CSU vor, die sich moderater als die AfD gibt.
Ganz vorne in der Mitte sitzt Angela Merkel und tippt in ihr Handy, flankiert von Volker Kauder, der jüngst mit desaströsen 77,3 Prozent als Unionsfraktionschef wiedergewählt wurde. Es wird ungemütlich für die Kanzlerin. In den eigenen Reihen. Im Bundestag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2017)

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