Wie vier Verfolgte im Untergrund von Nazi-Berlin überlebten

Hanni Levy, Claus Räfle und Eugen Herman-Friede bei der Premiere des Kinofilms Die Unsichtbaren - Wir wollen leben im Kino International.
Hanni Levy, Claus Räfle und Eugen Herman-Friede bei der Premiere des Kinofilms Die Unsichtbaren - Wir wollen leben im Kino International.imago/Future Image
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Rund 7000 Juden waren im Berlin der NS-Zeit untergetaucht. „Die Unsichtbaren“ von Claus Räfle , zugleich Doku und Ensemblefilm, erzählt von einigen Verfolgten, die dem Holocaust entgingen, indem sie, oft auf gefinkelte Weise, in die Illegalität abtauchten. Eine berührende Erzählung.

Sie habe so schöne dunkle Augen, fast wie eine Jüdin sehe sie aus, sagt der Wehrmachtsoffizier und fasst Ruth Arndt, die ihm gerade Wein eingeschenkt hat, um die Taille. „Ich dachte, Berlin wäre judenrein“, sagt Ruth. Die Runde lacht, Ruth zieht sich zurück. Es gilt, nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dass sie gemeinsam mit ihrer Freundin, als Kriegswitwen getarnt, im Haus eines gütigen NS-Offiziers untergekommen ist, war ihr großes Glück. Jetzt kümmert sie sich um seine Kinder und bedient die Herrenrunden, die im Speisesaal regelmäßig Schwarzmarkt-Delikatessen schlemmen. Ihr Gastgeber, der weiß, dass sie Jüdin ist, wechselt schnell das Thema.

Menschen wie ihm, die – oft aus christlicher Überzeugung – in der NS-Zeit Juden unter großer Gefahr für das eigene Leben vor der Deportation bewahrten, zollt der neue Film „Die Unsichtbaren – wir wollen leben“ von Claus Räfle Tribut. Vor allem erzählt er aber die unterschiedlichen Geschichten von vier jungen Verfolgten, die dem Holocaust entgingen, indem sie – oft auf gefinkelte Weise – in die Illegalität abtauchten, die Identität wechselten oder sich versteckten. Als im Mai 1943 von den über 160.000 Juden, die vor Hitlers Machtergreifung in Berlin gelebt hatten, fast alle geflohen oder abtransportiert worden waren, erklärte Goebbels die Stadt für „judenfrei“. Tatsächlich tauchten etwa 7000 unter. 1700 von ihnen sollten den Krieg überleben.

Sicherheit im dunklen Kinosaal

Mit vier von ihnen hat der deutsche Dokumentarfilmer Räfle, der bisher vor allem TV-Produktionen gemacht hat, ab 2009 gesprochen, ihre Zeitzeugenberichte führen nun durch den Film. Die 1924 geborene Hanni Lévy, die jetzt in Paris lebt, konnte als 17-jährige Waise (gespielt von Alice Dwyer) der Verhaftung entgehen, sie färbte sich die Haare blond und musste lernen, wieder aufrecht und mit völliger Selbstverständlichkeit durch die Stadt zu flanieren, um nicht aufzufallen. Sicher fühlte sie sich in dunklen Kinosälen, eine Kartenverkäuferin nahm sie schließlich auch bei sich auf.

Ruth Arndt (sie starb 2012 bei San Francisco, gespielt wird sie von Ruby O. Fee) kam als Hausmädchen bei genanntem Wehrmachtsoffizier unter, ihre gesamte Familie überlebte in verschiedenen Verstecken. Eugen Friede (Aaron Altaras) war hingegen der Einzige aus seiner Familie, der untertauchen musste: Seine jüdische Mutter konnte sich dank ihrer Ehe zu Eugens christlichem Stiefvater vor Verfolgung schützen, der 16-Jährige schloss sich im Untergrund einer Widerstandsgruppe rund um den aus Theresienstadt geflohenen Werner Scharff an.

Am vielleicht spannendsten ist die Geschichte des spitzfindigen Cioma Schönhaus (Max Mauff): Er baute sich als versierter Passfälscher in der Illegalität eine Karriere auf: Nicht nur rettete er damit Hunderten weiteren Juden das Leben, er konnte sich damit auch ein Segelboot und teure Restaurantbesuche am Kurfürstendamm leisten. Selbstverschuldete Schlampigkeit brachte ihn mehrfach in Schwierigkeiten, letztlich flüchtete er auf dem Fahrrad mit einem gefälschten Wehrpass in die Schweiz.

In „Die Unsichtbaren“ wechseln sich stimmungsvolle, in ihrer Eleganz von der typischen Kriegsfilmästhetik völlig ferne Szenen mit den Berichten der Überlebenden ab. Ist es eine Doku, ein Ensemblefilm? Beides auf einmal, das Ergebnis ist eine berührende Erzählung ohne Pathos.

Jugendliche Dreistigkeit

Da wird auf Socken getanzt und der Tag im Versteck flüsternd mit Brettspielen verbracht, da werden Nöte – Hunger, Kälte, Krankheit – gezeigt, aber auch Momente der Hoffnung und Mitmenschlichkeit. Spannung erzeugt das durchgehende Motiv der lebenswichtigen Täuschung, des Nicht-entdeckt-werden-Dürfens. Die Wege der Protagonisten kreuzen sich kaum, was sie verbindet, ist ihre jugendliche Dreistigkeit und Naivität, die ihnen durch die Jahre im Untergrund halfen: Sie hatten keine Ahnung, worauf sie sich einließen, nur, dass es ihre einzige Chance war, zu überleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2017)

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