Hürden für Konkurrenz am Bau

Präsident Emmanuel Macron hat den Franzosen Schutz vor Konkurrenz aus Osteuropa versprochen.
Präsident Emmanuel Macron hat den Franzosen Schutz vor Konkurrenz aus Osteuropa versprochen.APA/AFP/LUDOVIC MARIN
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Frankreichs Staatschef Macron setzt sich mit seiner Forderung nach Zeitlimit von zwölf Monaten durch – allerdings nicht immer, und nicht für Lkw-Fernfahrer.

Brüssel/Wien. Eineinhalb Jahre haben die Mitgliedstaaten der EU über eine Reform der Mitte der 1990er-Jahre beschlossenen Entsenderichtlinie debattiert. Nach einem zwölfstündigen Verhandlungsmarathon am Montag einigten sich die Sozialminister der Union bei ihrem Ratstreffen in Luxemburg schlussendlich auf einen Kompromiss: Der Gesetzestext wird modifiziert und an die Wünsche der wohlhabenden Unionsmitglieder angepasst – sofern das Europaparlament der Vereinbarung zustimmt.

Die Entsenderichtlinie ermöglicht es Unternehmen, ihre Arbeitnehmer für eine befristete Dauer (derzeit sind es maximal 24 Monate) in einem anderen EU-Mitgliedstaat arbeiten zu lassen. Punkto Mindestgehalt, Arbeitszeit etc. müssen sich die entsendeten Arbeitnehmer an die Vorschriften des Ziellandes halten – doch die Sozialabgaben fallen im jeweiligen Ursprungsland an. Nachdem es innerhalb der EU ein Gefälle zwischen westeuropäischen Mitgliedern mit einem hohen Abgabenniveau und den mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten mit deutlich niedrigeren Sozialabgaben gibt, wurde die Entsenderichtlinie vor allem in Frankreich und Deutschland kritisiert. Grundtenor der Kritik: Das Gesetz in seiner jetzigen Form begünstige Sozialdumping. Vor allem Frankreichs Staatschef, Emmanuel Macron, der seinen Wählern mehr Schutz vor ausländischem Wettbewerb versprochen hat, machte sich für eine Reform der Entsenderichtlinie stark. Unterstützt wurde er dabei auch von Noch-Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ).

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Der Montagabend erzielte Kompromiss, der ohne die Unterstützung Polens, Ungarns und Großbritanniens beschlossen wurde, ist für Macron ein Teilerfolg: Wie von ihm gewünscht, wurde die maximale Entsendedauer von derzeit 24 auf prinzipiell zwölf Monate verkürzt – Unternehmen haben allerdings die Möglichkeit, eine Verlängerung um weitere sechs Monate zu beantragen. Ebenfalls durchgesetzt wurde das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ – entsendete Arbeitnehmer müssen künftig bei Lohn, Zuschlägen, Bonuszahlungen etc. wie einheimische Arbeitskräfte behandelt und dürfen nicht benachteiligt werden. Nachgeben musste der französische Präsident bei der Einführung der Novelle – es soll eine Übergangsfrist von vier Jahren geben – sowie bei den Lastkraftwagenfahrern, die von den Regeln ausgenommen bleiben sollen. Gegen die Ausweitung der Entsenderichtlinie auf den grenzüberschreitenden Lkw-Fernverkehr hatten sich nicht nur die Osteuropäer, sondern auch Spanien, Portugal und Irland gestemmt.

Wie groß sind die Auswirkungen der Gesetzesänderung? Nach Angaben der EU-Kommission waren im Jahr 2015 (aktuellere Zahlen gibt es noch nicht) rund zwei Millionen EU-Bürger als entsendete Arbeitskräfte in einem anderen Mitgliedstaat tätig – das entspricht einem knappen Prozent aller Beschäftigten. Der Löwenanteil davon entfiel auf Polen mit rund 250.000 Personen, gefolgt von Deutschland (220.000) und Frankreich (130.000). Aus europäischer Perspektive betrachtet ist das Problem also überschaubar, allerdings konzentrieren sich entsendete Arbeitskräfte auf einige wenige Mitgliedstaaten und Branchen – nämlich Deutschland, Frankreich und Belgien sowie vor allem das Baugewerbe mit 41,5 Prozent aller Entsendeverträge sowie Industrie und soziale Dienstleistungen. Der Konkurrenzdruck ist also punktuell sehr wohl spürbar. Ob die beschlossene Reform dazu geeignet ist, die Ängste französischer Arbeiter vor unliebsamer Konkurrenz aus dem EU-Ausland zu mildern und dem rechtspopulistischen Front National das Wasser abzugraben, ist allerdings fraglich.

Wie bereits erwähnt, verläuft die Front nicht klar zwischen Ost und West – denn von der Entsenderichtlinie profitieren auch Unternehmen in Irland und auf der Iberischen Halbinsel. Doch auch die Osteuropäer sind alles andere als einig, denn neben Rumänien und Bulgarien legten auch Tschechien und die Slowakei keinen Einspruch gegen die Reform ein. Dass die Front der Visegrád-Staaten bröckelt, hängt einerseits mit den Bemühungen von Emmanuel Macron zusammen, Prag und Bratislava auf seine Seite zu ziehen, andererseits mit den Sorgen der Tschechen und Slowaken vor allzu großer Nähe zu den deklarierten Europafeinden Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński. Dass sich die Tschechen und Slowaken dauerhaft auf die Seite der Westeuropäer schlagen, ist allerdings nicht sicher. Tschechiens Sozialministerin, Michaela Marksová, sprach am Montag diesbezüglich eine Warnung aus: Wer die Ungleichbehandlung zwischen Ost- und Westeuropäern anstrebt, riskiert einen Ausbruch der Europafeindlichkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2017)

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