Türkei: Prozess gegen deutschen Menschenrechtler startet

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Peter Steudtner und zehn weiteren Angeklagten drohen wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation 15 Jahre Haft. Berlin fordert einen Freispruch.

Nach 100 Tagen Untersuchungshaft in der Türkei beginnt am heutigen Mittwoch in Istanbul der Prozess gegen den Deutschen Peter Steudtner und weitere Menschenrechtler. Die Staatsanwaltschaft wirft Steudtner und den zehn anderen Angeklagten "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation" beziehungsweise "Unterstützung von bewaffneten Terrororganisationen" vor.

Die deutsche Regierung forderte Freisprüche für die elf Angeklagten. Unter ihnen sind auch Steudtners schwedischer Kollege Ali Gharavi, der Vorsitzende von Amnesty International in der Türkei, Taner Kilic, und Amnesty-Landesdirektorin Idil Eser. Amnesty teilte mit, den Beschuldigten drohe wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation bis zu 15 Jahre Haft. Die Anwälte von Steudtner und Gharavi gehen allerdings davon aus, dass ihre Mandanten lediglich der Terrorunterstützung bezichtigt werden, was mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann.

Die Anklageschrift - die Amnesty als "absurd" bezeichnet hat - lässt keinen klaren Schluss darauf zu, welcher Terrororganisation Steudtner und Gharavi angehören sollten. Steudtner gehört zu mindestens elf Deutschen, die in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert sind und deren Freilassung die deutsche Bundesregierung fordert.

Erdogan rückte Angeklagte in Nähe von Putschisten

In Deutschland wurden vor Prozessbeginn Stimmen laut, die ein faires Verfahren für Steudtner in der Türkei anzweifelten. So äußerte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth starke Zweifel daran, dass Steudtner in der Türkei mit einem fairen Verfahren rechnen kann. "Es ist ein Skandal, dass das Gericht die Anklage mit den völlig aus der Luft gegriffenen Vorwürfen überhaupt zugelassen hat", sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. "Alleine das lässt befürchten, dass kein faires Verfahren zu erwarten ist." Der Fall zeige, "in was für einem dramatischen Ausmaß der Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei abgebaut wurden".

Steudtner, Gharavi und acht türkische Menschenrechtler waren am 5. Juli bei einem Workshop auf einer Insel bei Istanbul unter Terrorverdacht festgenommen worden. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Menschenrechtler dann beim G-20-Gipfel in Hamburg in die Nähe von Putschisten gerückt. Am 18. Juli verhängte ein Gericht in Istanbul daraufhin Untersuchungshaft gegen die beiden Ausländer und mehrere andere Beschuldigte. Danach erhob Erdogan im Zusammenhang mit Steudtner Spionagevorwürfe gegen die deutsche Bundesregierung.

Amnesty: Vorwürfe "falsch und diffamierend"

Kilic war bereits im Juni in U-Haft genommen worden, sein Fall wurde der Anklageschrift überraschend hinzugefügt. Ihm wird Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung vorgeworfen, die die Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht. Amnesty weist die Vorwürfe gegen ihren Türkei-Vorsitzenden zurück. Der Generalsekretär von Amnesty Deutschland, Markus Beeko, nannte die Vorwürfe gegen die elf Menschenrechtler "falsch und diffamierend".

Mit Blick auf den Workshop, den die Polizei gestürmt hatte, fügte Beeko hinzu: "Eine reguläre Fortbildung für Menschenrechtler wird in den Anklageschriften in ein konspiratives Geheimtreffen umgedeutet." Steudtner und Gharavi waren als Referenten zu dem Seminar eingeladen gewesen, bei dem es laut Amnesty um digitale Sicherheit und die Bewältigung von Stresssituationen ging. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, der deutsche Generalkonsul in Istanbul, Georg Birgelen, wolle den Prozess gegen Steudtner am Mittwoch beobachten.

(APA/dpa)

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