Weißrussland: Delikater Balanceakt zwischen Moskau und Brüssel

Alexander Lukaschenko, Weißrusslands Präsident, bei einem Treffen der eurasischen Wirtschaftsunion.
Alexander Lukaschenko, Weißrusslands Präsident, bei einem Treffen der eurasischen Wirtschaftsunion. (c) imago/ITAR-TASS (Alexei Druzhinin)
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Präsident Alexander Lukaschenko versucht, sich aus der Umklammerung Russlands zu befreien, spielt im Ukraine-Konflikt den Part des ehrlichen Maklers und hebt die Visumpflicht für EU-Bürger auf.

Wien. Ist Alexander Lukaschenko der letzte Diktator Europas oder ein Hoffnungsträger der EU? Beide Beschreibungen treffen paradoxerweise auf den Langzeitherrscher Weißrusslands zu. Daran, dass es bei dem Nachbarn Polens, Litauens und Lettlands alles andere als demokratisch zugeht, gibt es seit zwei Jahrzehnten so gut wie keine Zweifel. Auch die Tatsache, dass in Weißrussland immer noch die Todesstrafe vollstreckt wird, ist den Europäern ein Dorn im Auge.

Zugute kommt Lukaschenko die Rolle als geografische Verbindung zwischen Russland und dem Westen. Damit verbunden ist das Interesse Moskaus und der EU daran, dass Minsk auf keinen Fall vollständig in die Einflussphäre des jeweils anderen gerät. Das Naheverhältnis zu Russland besteht nicht nur aufgrund historischer und kultureller Bande – im Gegensatz zu Brüssel nimmt es Wladimir Putin mit der Einhaltung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien nicht so genau.

Doch sich gänzlich den Russen anzuvertrauen ist den Weißrussen auch nicht geheuer – weshalb Lukaschenko seit Jahren einen delikaten Balanceakt betreibt. Einerseits gibt er Moskau die Möglichkeit, auf weißrussischem Boden Truppenübungen zu veranstalten, andererseits kritisiert er Russlands Vorgehen in der Ukraine und versucht, zwischen Moskau, Kiew und dem Westen zu vermitteln.

Sanktionen gelockert

Dieser Zickzackkurs wird in Brüssel goutiert. Ende 2016 hat die EU ihre 2010 wegen der Repressalien gegen Andersdenkende verhängten Sanktionen gegen das Land wieder gelockert – zuvor hatten es bei der Parlamentswahl im Herbst erstmals einige wenige Oppositionelle ins Plenum geschafft. Nach wie vor in Kraft sind ein EU-Waffenembargo sowie Reise- und Vermögenssperren gegen vier Privatpersonen. Lukaschenko revanchierte sich, indem er Anfang 2017 die Visumpflicht für EU-Bürger aufhob.

Solang Weißrussland kein Rechtsstaat nach EU-Verständnis ist, können die Beziehungen nicht intensiviert werden – auch wenn unter anderem Sebastian Kurz (ÖVP) zu den Befürwortern einer Annäherung zählt. Für Minsk würde das auch ökonomisch Sinn ergeben. Weißrusslands Wirtschaft ist ineffizient, schrumpft – und ist auf Auslandsinvestitionen angewiesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2017)

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