Terroristen, Sezessionisten, Stämme und Amerika: Die Regierung in Sanaa droht, in einem komplizierten Kräfteparallelogramm auszurutschen.
Kairo. Im Jemen besteht Handlungsbedarf: Das zeigt der kürzlich missglückte Anschlag auf ein US-Verkehrsflugzeug, denn der Täter, ein Nigerianer, wurde von al-Qaida-Leuten im Jemen ausgebildet und losgeschickt. Das Land hat sich zum wichtigen Rückzugsgebiet für Islamisten entwickelt – und die USA sind bereits vor Ort aktiv, sie zu bekämpfen.
Verarmt und zerbrechlich, ist das Land gefangen zwischen wachsender Militanz und dem Krieg gegen Terror. Dazu ficht die Regierung in Sanaa seit fünf Jahren mit schiitischen Houthi-Rebellen im Norden. Die Rebellen sagen, die Regierung vernachlässige ihr Gebiet und verbünde sich mit sunnitischen Islamisten, für die die Houthi Angehörige einer abtrünnigen Sekte sind.
Im Südjemen um die Hafenstadt Aden wächst eine Sezessionsbewegung, die der Regierung ebenfalls vorwirft, vor allem die Hauptstadtregion zu fördern. Noch ist es hier weitgehend friedlich. Daneben hat Präsident Ali Saleh mit Flüchtlingsmassen aus Somalia und Piraten zu kämpfen.
Wasser und Öl gehen zur Neige, Letzteres macht 75 Prozent der Einnahmen aus. Ein Drittel der Bevölkerung ist arbeitslos, dabei wächst sie massiv, während das Bildungssystem am Boden liegt. Die Institutionen sind schwach und korrupt. Der Jemen liegt auf der Korruptionsliste von Transparency International auf Platz 141 von 180 Ländern.
Die Vormacht der Stämme
Auf dem Land dominieren die Stämme, die oft besser bewaffnet sind als die Armee. Auf 22 Millionen Menschen kommen wohl dreimal so viele private Schusswaffen. Auf dem Land ist es üblich, mit der Kalaschnikow am Rücken auszugehen, selbst Panzerabwehrraketen finden sich in den Häusern.
Terroristen unterstützt die Regierung nicht; deren Spielraum im Land ergibt sich aus der Schwäche der Regierung und ihrer Fixierung auf die Sezessionisten. Also sind Militante zugezogen. Allerdings wurden solche, die nach dem Kampf gegen die UdSSR aus Afghanistan zurückkamen, oft in den Sicherheitsapparat integriert und gern in Sturmtruppen eingesetzt. Im Bürgerkrieg 1994 etwa bildeten sie die Vorhut bei der Rückeroberung von Aden.
Doch heutige Islamisten, viele Rückkehrer aus dem Irak, wollen nicht kooperieren. Und sie operieren verstärkt im Jemen. 2008 starben bei einem Anschlag auf die US-Botschaft achtzehn Menschen. Monate später wurde die „al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel“ gegründet, ihrem Aufruf folgten allein aus Saudiarabien über 80 gesuchte Terroristen in den Jemen.
Mutmaßliche al-Qaida-Leute werden seither erschossen und zu Hunderten verhaftet und gefoltert. Oft dienen Verwandte als Geiseln, wenn die Verdächtigen nicht gefunden werden. Doch das alles fördert den Zulauf zu den Islamisten – auch, weil es oft Unschuldige trifft, wie selbst Richter zugeben.
Die Regierung steckt in einem Dilemma: Sie hat den USA Hilfe beim Antiterrorkampf zugesagt, was ihre interne Legitimität schwächt und das Ökosystem zwischen Regierung und Stämmen stört. Dies könnte bewirken, dass Islamisten mehr Hilfe von Stämmen bekommen. „Die Jemeniten kooperieren mit dem Staat, aber wenn die Regierung zu sehr dem US-Druck nachgibt, werden wir sie bekämpfen“, sagte der verstorbene Scheich Abdallah al-Ahmar, einst mächtigster Stammesführer.
So herrscht Misstrauen zwischen Washington und Sanaa. Saleh gibt sich stolz über die von den USA geförderten Antiterroreinheiten, demonstriert aber Unabhängigkeit – etwa, indem er sich weigert, zwei Jemeniten auszuliefern, die am Anschlag auf das US-Kriegsschiff „Cole“ im Hafen von Aden im Jahr 2000 beteiligt waren, bei dem siebzehn Amerikaner starben.
Krieg gegen Terror als Geschäft
Der jemenitische Anwalt Khaled Al-Ansi, der Rückkehrer aus Guantánamo vertritt, sieht das Ganze im Gespräch mit der „Presse“ als zynisches Katz-und-Maus-Spiel. „Krieg gegen Terror ist ein Geschäft. Ein Offizier, der Menschen als angebliche Terroristen festnimmt, wird schneller befördert.“
Nur: Trübte sich das Verhältnis zu den USA wegen der Menschenrechtslage, würden Terrorverdächtige entlassen oder es gäbe einen spektakulären Gefängnisausbruch. Und wenn sich das Verhältnis zu Washington wieder verbessere, sagt der Anwalt, „dann werden sie alle einfach wieder eingesperrt“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 5. Jänner 2010)