Mirna Jukic: „Noch einmal über Abschiebungen reden“

(c) Michaela Bruckberger
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Schwimmerin Mirna Jukic im Gespräch mit der "Presse" über ihre Rolle als Vorzeigemigrantin, den Fall Arigona, Ausländerfeindlichkeit in Österreich, die Studentenproteste und ihre sportliche sowie private Zukunft.

„Die Presse“: Sie werden oft als Vorzeigemigrantin bezeichnet. Geht Ihnen das schon auf den Wecker?


Mirna Jukic: Nein, eigentlich nicht. Ich finde es gut, wenn man in Österreich findet, dass ich eine von denen bin, die es geschafft haben, sich zu integrieren, dass ich mich als Österreicherin etabliert habe.


Und wie haben Sie's geschafft?


Jukic: Mir war bewusst: Wenn ich hier sein möchte, die österreichische Staatsbürgerschaft habe, sollte ich mich auch dementsprechend benehmen und die Sprache sprechen. Ich bin mit 13 Jahren nach Wien gekommen und habe kaum ein Wort Deutsch gekonnt. Nach einem halben Jahr oder Jahr habe ich im Unterricht schon alles verfolgen können und wurde benotet.


Sehen Sie das Problem, dass sich manche Zuwanderer nicht integrieren wollen?


Jukic: Man hat schon manchmal das Gefühl, dass es manchen egal ist. Es bildet sich eine Art kleiner Ghettos. Ich vergesse nicht, wo ich herkomme. Es verbietet dir ja keiner, deine Kultur und deine Religion auszuleben. Aber du sollst, wenn du in einem anderen Land lebst, das Land akzeptieren und respektieren. Und entsprechend versuchen, dich zu integrieren.


Ist Österreich ausländerfeindlich?


Jukic: Ich finde, das ist ein schwerer Ausdruck. Es gibt sicher Leute, die nicht so begeistert sind, wenn wir einwandern. Und Leute, die die Jugo-Sprachen sprechen, also Kroatisch, Serbisch, Bosnisch, wie auch immer, oder die Türken werden schief angeschaut. Wenn man Spanisch, Italienisch oder Französisch hört, glaubt man dagegen gleich: Das sind Touristen. Es kann aber genauso sein, dass jemand aus Kroatien Tourist ist. Es muss nicht gleich heißen, dass er hier lebt und einem den Platz wegnimmt. Da gibt es vonseiten der Österreicher schon noch Vorurteile.


Sind Sie selbst schon beschimpft worden oder in Schwierigkeiten geraten als Ausländerin?


Jukic: Nein, zum Glück nicht. Aber ich vermeide es, Kommentare zu Artikeln zu lesen, die Leute anonym ins Internet stellen. Eine Zeitlang habe ich welche gelesen, es waren wirklich nicht schöne Wörter dabei. Da sind sie die Heroes, wenn sie anonym sein können. Wenn sie sich hinstellen könnten, macht keiner von denen den Mund auf.


Braucht Österreich mehr Einwanderer?


Jukic: Es gibt immer wieder Einwanderer, die erfolgreich sind, ihr Können weitergeben – vom Sportler bis zum Akademiker, Ärzte zum Beispiel, die dem Land auch Gutes tun. Man sollte den Leuten Chancen geben, unter anderem in der Bildung. Die Leute müssen dann gescheit genug sein, die Chancen zu nützen, damit sie und auch das Land am besten davon profitieren.


Von den Unter-30-Jährigen wählen die meisten FPÖ. Bereitet Ihnen das Sorgen?


Jukic: Ein bisschen schon. Wenn man sagt: Ausländer raus – heißt das dann für mich, die ich Österreicherin, aber auch Ausländerin bin, dass ich übermorgen futsch bin? Was mache ich dann? Ich fühle mich auch ein bisschen gekränkt. Super, danke dass ihr der Meinung seid, wir gehören raus.


Zum Fall Zogaj: Finden Sie es okay, dass es kein Bleiberecht für Arigona geben soll?


Jukic: Ich kenne den Hintergrund zu wenig. Aber wenn jemand schon so lange da ist und sich auch als ein Teil dieser Gesellschaft sieht, finde ich es nicht in Ordnung, ihn abzuschieben. Das ist schwierig, nach so langen Verfahren. Man sollte noch einmal nachdenken, darüber reden.

Wie stehen Sie zum Plan von Innenministerin Fekter, in Eberau ein Asylzentrum zu schaffen?


Jukic: Man kann es nicht einfach festlegen, sondern sollte sich mehr Informationen holen: Warum muss es dort sein? Warum will es das Volk nicht? Ein gemeinsames Gremium soll entscheiden, das ist sinnvoll. Man muss im Leben Kompromisse eingehen, aber nicht, bevor man alle Aspekte betrachtet hat.


Was ist dran, dass Sie sich bei der SPÖ Wien engagieren könnten?


Jukic: Das sind nur Gerüchte, ist nicht fundiert. Ich würde mich nie politisch engagieren. Ich setze mich auch viel zu wenig mit Politik auseinander, um sagen zu können: Ich möchte mitreden. Ich bin öffentlich genug, mache meinen Sport und gehe auf die Uni.


Sie studieren Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Da soll es auch bald Zugangsbeschränkungen geben. Fänden Sie das in Ordnung?


Jukic: Sicher gibt es viele, die Publizistik wählen, weil sie nicht wissen, was sie eigentlich studieren sollen. Nur inskribieren und nichts tun und jemandem vielleicht den Platz wegnehmen, wäre aber nichts. So gesehen, wäre eine Beschränkung okay. In Kroatien ist so etwas ganz normal: An jeder Uni gibt es eine Aufnahmeprüfung. Dass es in Österreich für Sportwissenschaft und Medizin Aufnahmeprüfungen gibt, ist logisch. Warum sollte es an den anderen Unis nicht auch so sein?


Das heißt, die Studenten, die gestreikt und das Audimax besetzt haben, haben sich das nicht gut überlegt?


Jukic: Natürlich können sie auch berechtigt demonstrieren, wenn sie unzufrieden sind. Aber sie müssen sich entscheiden: Willst du Zugangsbeschränkungen abschaffen? Dann reg' dich nicht darüber auf, dass wir so viele sind und die Säle überfüllt sind. Oder bist du dafür, dass wir weniger sind? Dann aber gerecht. Dann muss es eine Leistungsbemessungsgrundlage geben.


Hätte man die Studiengebühren belassen sollen?


Jukic: In Amerika kostet ein Jahr an der Uni Minimum 20.000 Dollar, und wir beschweren uns wegen 760 Euro? Ich frage mich einfach, wie wir die Uni aufrecht erhalten wollen. Der Staat kann nicht so viel Geld ausschütten nur für die Universitäten. Wenn wir den Unis gerade einmal die 16 Euro ÖH-Beitrag zahlen, schaut die Uni in 20 Jahren genauso aus wie jetzt. Aber wenn du studieren willst, dann schaffst du das, auch wenn du zahlen musst, auch wenn du nebenbei arbeiten musst. Dann geht es vielleicht nicht in Mindestzeit. Viele werden jetzt sagen: Die schwimmt, die verdient eh so viel Geld, für die sind 760 Euro im Jahr nicht viel. Aber ich mache einen Volljob. Jeden Tag sechs Stunden körperliche Anstrengung, das ist wie sechs Stunden an der Baustelle stehen und hackeln. Und ich schaffe es trotzdem, die Uni zu besuchen, ich werde vermutlich ein Semester über der Mindestzeit sein.


Fehlt an den Unis oder auch im Sport in Österreich der Gedanke, wir müssen die Eliten fördern?


Jukic: Ein bisschen schon. Ich sehe es im Sport: Wir werden schon gefördert, aber nachdem wir zig Formulare ausgefüllt und belegt haben, wie welches Trainingslager ablaufen wird und so weiter. Zum Beispiel der Wiener Landesschwimmverband: Dort sagen sie, uns interessiert Spitzensport nicht, wir wollen Breitenschwimmen machen. Gut. Aber wenn du die Spitze nicht förderst, hast du irgendwann nichts mehr aus der Masse. Denn zu wem soll sie aufschauen, wen als Vorbilder haben? Man kann auch beide fördern.


Woran liegt es? Gibt es in Österreich eine Neidgesellschaft?


Jukic: Es ist schon ein bisschen eine Neidgesellschaft. Es sitzen genügend Leute in Vorständen, die früher selbst geschwommen sind, mittelmäßig waren und es nicht ausstehen können, dass jemand besser ist und es eigentlich verdient, gefördert zu werden und die Chance zu bekommen, noch besser zu werden. Das dürfte nicht sein. Vielleicht hat man auch Angst vor höheren Investitionen, dass alles in die Hose gehen könnte. In Kroatien zum Beispiel weiß jeder, was eine Olympiamedaille kostet, wie viel der Sportler bekommt. Und die Städte verteilen quasi Wohnungen. Die schmücken sich mit den Spitzensportlern, wissen aber auch, dass man ihnen etwas bieten muss.


Wie geht es sportlich weiter? Starten Sie im Februar bei den Hallen-Staatsmeisterschaften in Wien?


Jukic: Ich trainiere zurzeit viel zu wenig, um sagen zu können: Ich schwimme bei den Staatsmeisterschaften. Es ist schwierig, ich habe zwei Monate, wenn ich mich wirklich darauf vorbereiten wollte. Was ich selbst noch nicht weiß. Nachdem man so viel erreicht hat, überlegt man sich: Was sind die nächsten Ziele? Was ist primär, was sekundär? Geht beides? Da bin ich noch in der kreativen Denkphase.


Was ist primär?


Jukic: Das Wichtigste ist, dass ich meine Uni abschließe. Denn wenn ich nur schwimmen kann, was will ich dann machen? Ich will nicht mein Leben lang Schwimmtrainer sein. Und fast jede Frau denkt sich auch: Ich hätte irgendwann gern Familie und Kinder. Aber wenn ich das sage, heißt es gleich, sie ist schwanger und will jetzt ein Baby.


Ist aber nicht so?


Jukic: Nein, der Wunsch, Kinder zu haben, heißt ja nicht, sie gleich haben zu wollen. Ich frage mich: Gibt es überhaupt noch sportliche Ziele und wenn ja, welche? Mittlerweile ist es eigentlich schon viel zu wenig zu sagen, ich gehe ins Finale bei einer EM. Man will Medaillen, Rekorde. Höre ich also auf, wenn ich eigentlich am Höhepunkt meiner Karriere bin? Oder mache ich weiter, ohne die Garantie, das zu erreichen, was ich will? Ich bin mir noch nicht sicher.


Könnte es bis zu den nächsten Olympischen Spielen reichen?

Jukic: Es kann gut sein, aber genauso gut nicht. London ist 2012, das sind drei Jahre harter Arbeit. Da kann man vieles machen, vieles erreichen. Ich wäre 26, das ist kein Alter, wo man sagt: Du bist eine alte Oma und kannst nicht mehr mitschwimmen. Es ist alles machbar.

Bisher erschienen: Eva Dichand (7.12.), Eser Akbaba (21.12.), Erich Leitenberger (24.12.), Brigitte Bierlein (28.12.), Wolf D. Prix (29.12.), Berthold Salomon (31.12.), Helmut Draxler (4.1.).

ZUR PERSON


Mirna Jukic, 23, wurde in Kroatien geboren. 1999 kam sie nach Wien, 2000 erhielt sie die Staatsbürgerschaft. Sie ist Österreichs erfolgreichste Schwimmerin der Vorjahre. Bronze über 100 Meter Brust bei den Olympischen Spielen in Peking 2008, „Sportlerin des Jahres“. Bronze über 200 Meter Brust bei der WM in Rom 2009. Jukic (im Bild mit „Presse“-Redakteurin Pöll) studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2010)

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