"Time to say Goodbye": Das emotionale Ende einer Fluglinie

Last flight, operated by insolvent carrier Air Berlin departing Munich
Last flight, operated by insolvent carrier Air Berlin departing MunichREUTERS
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Es ist kein alltäglicher Flug, der Freitagnacht von München nach Berlin abhebt: Mit der Kennung AB 6210 verabschiedet sich Air Berlin vom Flugbetrieb. Eine letzte Reise voller Emotionen und Erinnerungen an eine Fluglinie, die sich als Airline mit Herz vermarktete – die "Presse" war mit an Bord.

Eine jubelnde Menge, die jeden Fluggast einzeln begrüßt. Hunderte stehen da in ihren gelben Warnwesten, klatschen mit jedem ab, der die Gangway hinabsteigt. „Das ist für euch“, ruft Chef-Steward Stefan Berg, der oben eine Air-Berlin-Fahne schwingt, in Richtung der Passagiere. So muss sich wohl auch Karl Schranz gefühlt haben, als er nach seinem Olympia-Ausschluss 1972 in Wien von rund 100.000 Menschen empfangen wurde. Es ist eine Mischung aus Euphorie und Trauer, die an diesem Samstag kurz nach Mitternacht die Passagiere am Flughafen Berlin Tegel erwartet. Es ist auch nicht irgendein Flug. AB 6210 ist der letzte, den Air Berlin jemals durchführt.

Ein Monitor am Münchner Flughafen „Franz Josef Strauß“ ist es, der am Freitagabend zum letzten Mal einen Flug mit dem Kürzel AB anzeigt. „Bye, bye Air Berlin“ steht darunter. Aber es sind noch mehr Dinge, die hier anders ablaufen als sonst. Fernsehteams, die Passagiere für Interviews suchen. Fluggäste mit selbstbedruckten T-Shirts, auf denen die Flugdaten zu lesen inklusive „und am Ende wird geklatscht“. Die Durchsage aus dem Lautsprecher ist alles andere als emotionslos. So oft kommt es auch nicht vor, dass den Passagieren mit elektronischem Ticket angeboten wird, ein eigenes aus Papier auszudrucken – als Erinnerung. Bevor das Einsteigen beginnt – „aufs Gruppen-Boarding wird heute verzichtet“, heißt es aus dem Lautsprecher –, kommt sogar noch die Flugcrew am Gate A16 vorbei, um den Mitarbeitern des Flughafens München Auf Wiedersehen zu sagen.

Abschiedsgruß an der Tür. Für 21:35 ist der Start angesetzt. Doch es sollte eine knappe Dreiviertelstunde länger dauern, ehe sich die A320 tatsächlich in Bewegung setzt. Es sorgt eben für eine Verzögerung, wenn die Passagiere in der Fluggastbrücke ein Spalier an Mitarbeitern abschreiten. Mit ihren Händen haben sie Herzen geformt. Ein letzter Gruß an die „Airline mit Herz“, wie sich Air Berlin selbst bezeichnet hat. Und vor dem Einsteigen können die Fluggäste mit dicken Filzstiften noch einen Abschiedsgruß an die Tür des Flugzeugs schreiben. „See you again – I'm sure“ steht da etwa, oder „Im Herzen fliegst du weiter“.

„Anybody who doesn't speak german?“, fragt der Steward, als die Maschine anrollt. Keine Meldung. „Na dann auf Deutsch!“ Etwas lockerer als sonst werden die Sicherheitsregeln hinuntergebetet – „wir zeigen Ihnen nun das Geheimnis des Gurts“. Und dann kommt die Bitte an die Fluggäste auf der rechten Seite – sie mögen doch mit der Taschenlampenfunktion ihrer Handys nach draußen leuchten. Als Gruß. Denn dort stehen hunderte Menschen mit gelben Sicherheitswesten. Mitarbeiter des Flughafens München, die der Air Berlin die letzte Ehre erweisen wollen. Mit Wasserfontänen aus zwei Feuerwehrautos bekommt die Maschine noch eine Ehrerbietung. Ehe Flug AB 6210 mit rund einer Stunde Verspätung endlich abheben darf. Zum letzten Mal.

Es sind viele Flugbegeisterte dabei, die diesen historischen Tag miterleben wollen. „Reisegruppe Abschied“, wie es Flugblogger Sven Henning formuliert, der extra mit Freunden von Berlin aus nach München geflogen ist, mit Air Berlin natürlich, um dabei sein zu können. Es sind aktuelle und frühere Mitarbeiter der Fluglinie, die hier Abschied feiern – vor dem Abflug haben sie im Café am Gate noch Gruppenfotos gemacht und „Air Berlin Forever“ gerufen. Und es sind Journalisten mehrerer deutscher Medien da. Der Wunsch, dabei zu sein, hat rund zwei Wochen vorher für einen Run auf die Tickets geführt – von knapp 130 Euro für hin und retour gingen die Preise wegen der großen Nachfrage schnell nach oben, als das Datum für den Abschiedsflug bekannt wurde – mancher musste am Ende fast 400 Euro für One Way zahlen. Aber es sind auch einige an Bord, die eigentlich nur einen ganz normalen Flug gebucht haben. Manche sogar mit Rückflug – nur wird es den nicht mehr geben, zumindest nicht mit Air Berlin.

Reste gehen an Easyjet. Für die Crew sieht es ähnlich aus. Für viele ist ungewiss, wie es weitergeht. Ja, es gibt Angebote für einige, im Lufthansa-Konzern weiterzufliegen, an den große Teile des Unternehmens gehen. Allerdings müssen sie dort mit Gehaltseinbußen von rund 40 Prozent rechnen. Den Rest aus der Konkursmasse von Air Berlin holte sich der britische Billiganbieter Easyjet – und will auch rund 1000 Mitarbeitern ein Angebot machen. Doch die Zukunft spielt auf diesem Flug nur eine Nebenrolle. Viel ist zu hören von der Vergangenheit. Mitarbeiter, die über Lautsprecher erzählen, wie lange sie im Unternehmen sind. Wie groß der Zusammenhalt auch in schlechten Zeiten gewesen sei. Und wie man bis zum Schluss gekämpft habe. „Leider war die Last zu schwer.“
Insgesamt, erzählt Chef-Steward Berg, komme die Crew zusammen auf 195 Dienstjahre bei Air Berlin. Inklusive Flugkapitän David McCaleb, der fast 27 Jahre hier gearbeitet hat. „Ich habe die Liebe meines Lebens in Berlin gefunden“, erzählt der 61-Jährige mit amerikanischem Akzent über den Bordlautsprecher, „mehrmals“. Und sorgt so für Gelächter auf dem Flug, auf dem Emotionen ständig spürbar sind. Da ist etwa die Flugbegleiterin, die einem Passagier von ihren zwei Kindern erzählt – und dass sie ja nicht einfach von Berlin nach Frankfurt wechseln könne. Da sind immer wieder Durchsagen, warum man sich als Airline mit Herz gefühlt habe – weil man alles für die Gäste getan habe. Und da sind auch viele kleine Gesten zum Abschied.

Eine Unterschriftenliste wird herumgereicht, auf der man sich bei der Crew bedanken kann. Beim Boarding hat jeder Gast ein Blatt mit dem Text des Air-Berlin-Songs bekommen: „Flugzeuge im Bauch, im Blut Kerosin. Kein Sturm hält sie auf, uns're Air Berlin“ – als das Lied gespielt wird, tanzen einige der Flugbegleiterinnen am Gang. Und am Ende bekommen die Mitarbeiter ein Sparschwein geschenkt. Das Bodenpersonal in München hat es beim Boarding aufgestellt, Passagiere haben Geld eingeworfen. Und im gedämpften Licht während des Flugs gibt es sogar ein spezielles Menü: Die Berliner Cateringfirma hat zum Abschied Sekt und Canapés für den gesamten Flug gestiftet.

Vergessen wirken auf diesem Flug all die Probleme, die man mit Air Berlin in den vergangenen Monaten gehabt haben mag. Flugverspätungen, Ausfälle, Chaos beim Gepäck. All die Dinge, die wohl insolvenzbedingt nicht mehr so gut gelaufen sind, sind plötzlich sekundär. Vielmehr überwiegt die Gewissheit, dass man eine Fluglinie verliert, mit der man oft selbst unterwegs war. Meist auch noch recht günstig. Und für einen Billigflieger auch gar nicht so unkomfortabel. So gab es lange auch Verpflegung und nicht endlos viel Werbung wie bei der Konkurrenz von Ryanair oder Easyjet an Bord – auch von aufdringlichen Verkaufsversuchen des Flugpersonals blieb man bei Air Berlin weitgehend verschont.

All das mag aber auch zum Niedergang der Fluglinie beigetragen haben. Dass man versuchte, am Billigmarkt zu landen, dabei aber den Komfort einer klassischen Linie anzubieten. Das war wohl einer der großen strategischen Fehler – neben dem, dass man zu viel wollte, in alle Richtungen wuchs und am Ende kein klares Profil mehr hatte. Das Herz allein war auf der wirtschaftlichen Seite einfach zu wenig.

Als die Maschine durch die Wolkendecke hindurch auf Berlin zusteuert, gibt es noch eine weitere Überraschung. Einen Rundflug über die Stadt. „Mit Genehmigung“, sagt der Chef-Steward. Und erzählt den Passagieren, was sie nun über der Stadt sehen. Am Flughafen Schönefeld im Süden geht es vorbei, weiter über das Tempelhofer Feld – den ehemaligen Flughafen Tempelhof – und schließlich in einigen Schleifen rund um das Zentrum. Der Blick fällt auf auf Berliner Symbole wie den Fernsehturm, das Brandenburger Tor und den Potsdamer Platz.

Ein Herz soll es sein, das die Maschine da über der Stadt gezeichnet hat. Und das in nur rund 3000 Fuß Höhe, also einem knappen Kilometer über den Häusern der Stadt. Mit ausgefahrenem Fahrwerk – weil, erklärt der Kapitän, man dann einerseits langsamer fliegen könne. Und weil andererseits nur dann auch die Heckflosse der Maschine beleuchtet ist. Die will man noch einmal am Himmel zeigen, ehe Captain McCaleb nach einer letzten Runde um den Flughafen Berlin Tegel herum zur finalen Landung ansetzt.

Um 22.45 Uhr hätte man in Tegel ankommen sollen. Als der Airbus tatsächlich aufsetzt, ist es kurz vor Mitternacht. Auch am Boden wird noch eine Extrarunde gedreht, wieder vorbei an unzähligen Menschen in gelben Warnwesten. An Autos und Flughafenfahrzeugen, die quasi eine Ehrenformation gebildet haben. Und wieder durch Wasserfontänen, die die Feuerwehrautos auf das Flugzeug richten. Aus den Lautsprechern an Bord ertönt „Time to say Goodbye“. Auf Parkposition 52 stellt der Captain den Flieger ab, gut sichtbar für die vielen Gäste, die auf der Besucherterrasse ausgeharrt haben. Und ausharren ist auch die Devise an Bord. Denn bis das Flugzeug sich geleert hat, dauert es lange. Nur, dass keine Ungeduld zu spüren ist. Auf einem Flug wie diesem gibt es keinen Grund für Eile.

Mit Handschlag wird jeder einzelne Gast verabschiedet. „Vielen Dank“ sagt einer der Mitarbeiter, seine Augen wirken gerötet. „Alles Gute für die Zukunft“ wird den Flugbegleitern gewünscht. Und vor dem Aussteigen gibt es noch das charakteristische Schokoherz. Die in rote Folie eingewickelte Schokolade, die Passagiere auf Kurz- und Mittelstreckenflügen geschenkt bekamen, war eines der Markenzeichen der Fluglinie. Auf eBay werden sie mittlerweile schon gehandelt – für 9 Euro, 39 oder sogar 59 Euro. Als Abschiedsgeschenk im Flieger wird man sie künftig nicht mehr bekommen.

Es wird geweint. Da sind sie wieder, die Emotionen. Zwei junge Flugbegleiterinnen, die gerade noch einem fotografierenden Passagier Kusshändchen zugeworfen haben, liegen sich kurz darauf in den Armen. Es wird gejubelt und gleichzeitig geweint. Als schließlich die Crew auf die Gangway tritt, gibt es Applaus. Steward Stefan Berg schwenkt die Fahne. Kapitän McCaleb winkt in die Menge. Die Menschen in den gelben Warnwesten bleiben noch auf dem Rollfeld, als der letzte Bus die Passagiere zum Terminal bringt.
Beim Monitor mit den angekommenen Flügen steht noch die Kennung des Flugs: AB 6210. Es ist das letzte Mal. Wer künftig am Flughafen seine Verbindung auf einer der Anzeigetafeln sucht, wird das AB nicht mehr finden. Air Berlin ist Geschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2017)

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